Desbordes-Valmore, Marceline

Werk

Desbordes-Valmore, Marceline

KS Bd. 05 - Die erste Liebe. Le premier amour

Die Übertragung von Karl Schwedhelm stammt aus dem Jahre 1947. Sie ist Bestandteil einer auf acht Bände angelegten Werkausgabe, wovon sechs bereits erschienen sind. Zu den Gedichten von Marceline Desbordes-Valmore: Wenn mit diesen Gedichten die Macht des Leisen aufgerufen wird, so scheint einem solchen Unternehmen wenig Berechtigung beschieden in einer Zeit, die noch widerklingt von dem dröhnenden Nachhall ihres unbarmherzigsten Unwetters. Müssen solche Gedichte in unserer Welt der Trümmer, auf der Schädelstätte menschlichen Leides nicht wie ein Anachronismus wirken? Denn es sind Gedichte, in denen nichts als subjektive lyrische Aussage lebendig ist, persönliches Schicksal einer sensiblen und romantischen Frauenseele, in ihrer Verletzlichkeit etwa der Günderode benachbart, zerbrechlicher und wohl auch enger im Fraulichen verhaftet als die Droste – und doch beiden Frauen nicht allein durch lose Zeitgenossenschaft verbunden. Gewiß, einzelnes aus den zehn Gedichtbänden, die zu Lebzeiten der Dichterin von ihr in Druck gegeben worden sind, will uns heute allzu ichbezogen dünken, erweckt kaum mehr als den Eindruck verliebter Versenkung in die schmerzlich-süße Bitternis ihres Geschicks, vermag uns nur als ein zärtlicher Kult mit dem Leiden anzusprechen. In den weitaus meisten ihrer Schöpfungen aber findet diese Frau Verse von einer bezwingenden Eindringlichkeit des Fühlens, weiß um die Kunst der leisen Zwischentöne im Ausdruck, wie es sonst nur den Größten ihres Jahrhunderts vergönnt war. Und sie besitzt – was in der französischen Dichtung sehr selten ist – die liedhafte Ursprünglichkeit der Stimmung. Ein Leben voller Trauer und Prüfungen und als dessen Auftakt ein tragisches Liebeserlebnis in der Jugend: der Schmerz darüber, von einem mit allen Sehnsüchten ihres Wesens geliebten Manne hintergangen und – was ihr mehr gilt – nicht geliebt worden zu sein, läßt diese Frau Trost und Zuflucht im Wort finden: sie wird zur Dichterin. Allzu schmal mag manchem solche Basis ihres Dichtertums erscheinen, entscheidend bleibt, daß eine flutende Fülle unvergänglicher Verse daraus entstammt; wollen wir den Strom, der ein ganzes Land fruchtbar macht, nach seiner Quelle im Berggestein fragen? Wenn heute der durch blinde Torheit sehr zum Nachteil deutschen Wesens lange verriegelte Zugang zum reichen Bildersaal des französischen Geistes wieder gesucht wird, erinnere man sich, daß Verlaine diese dichtende Frau die größte in der französischen Poesie genannt hat und daß vor fünfundzwanzig Jahren Stefan Zweigs unvergessene Würdigung ihres tragisch beschatteten Erdenweges nur die wenigsten erreichte. So schien von mehreren Seiten her die Rechtfertigung für dies schmale Büchlein gegeben. Eine Übernahme der Dichtungen in den deutschen Sprachraum war nicht möglich, ohne zu dem besonderen Ausdruck der Marceline Desbordes die deutschen Entsprechungen in ihrer Zeit, eine romantisch-impressionistische Formenwelt in Bild und Sprache aufzusuchen. Der Übersetzer hat es als seine Aufgabe betrachtet, eine möglichst schlichte Form für einen Lied gewordenen «crève-coeur» zu finden, dessen mütterlich-weibliche Hintergründe, fern allem literarischen Ehrgeiz, durch ihr echtes, anspruchsloses Gefühl auch heute noch zu ergreifen vermögen. Die schwebend-feinen Unterschiede zwischen dem franzözischen «coeur» und «âme» sowie dem deutschen «Herz» und «Seele», zweien der Lieblingsbegriffe der Marceline, mußten dabei in mannigfachen Abstufungen wiedergegeben werden. Haben sie doch auch in der Terminologie der Dichterin selber einen Wandel durchgemacht. «Les fleurs amères» möchte man, Baudelaires schönen Titel abwandelnd, dieses Bändchen heißen und Blüten des Leides wahrlich sind die Strophen der unglücklichen Frau in einem sehr edlen Sinne. Daß ihr das Leid mehr bedeutete als dumpf verhängtes Schicksal, daß es Kräfte des Geistes und der Seele frei werden ließ, die in ihrer Mütterlichkeit auch uns zur Tröstung dienen können, daß aus dem Leide in Wahrheit «Blüten» sproßten, möge dieser Versuch einer Nachdichtung erweisen. Karl Schwedhelm