Hieronimus, Ekkehard

Werk

Hieronimus, Ekkehard

RTB 105 - Wilhelm von Gloeden. Photographie als Beschwörung

Wilhelm von Gloeden (1856–1931) war um die Jahrhundertwende ein international anerkannter Photograph hauptsächlich männlicher Akte. Nach dem Ersten mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg geriet sein Werk vollends in Vergessenheit. Dieser Aufsatz war zuerst Bestandteil eines Ausstellungskataloges zur Jahrhundertausstellung «Otto Meyer-Amden / Wilhelm von Gloeden / Elisàr von Kupffer» in der Kunsthalle Basel. 15. Juli bis 9. September 1979. Ekkehard Hieronimus (1926–1998) hat diesen Beitrag leicht überarbeitet und mit einem Untertitel versehen. Die 2. Auflage erschien anlässlich seines 20. Todestages.
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Das sexualfeindliche Christentum hatte sich mit brutaler Gewalt von den freizügigen antiken Plastiken befreit. Was nicht zerstört wurde, bekam das Stigma des Feigenblattes. «Der Eifer der Kirchenväter hat den Stern nicht vom Himmel nehmen können. Immer wieder haben Bildhauer den Leib göttlicher Form nachzubilden versucht.» (Hans Henny Jahnn) Doch war der Künstler bis ins 19. Jahrhundert hinein mit der Einkleidung des Aktes in mythologische und allegorische Szenen nicht unbedingt auf der sicheren Seite. Ein Beispiel hierfür ist die systematische Übermalung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle. Caravaggio holte sich die Modelle von der Straße, wobei er sehr wohl wusste, welche antiken Skulpturen es gab. Die vielfach homoerotische Aussage seiner Bilder erschließt sich allerdings erst dann, wenn man die Modelle, gewissermaßen mit dem Auge, aus der Camouflage herauslöst. Formal knüpft Wilhelm von Gloeden an diese Tradition an, nämlich «das alte klassische Leben im Bilde wiedererstehen zu lassen.» Taormina mit seinem halbverfallenen, imposanten griechischen Theater schien ihm dazu der geeignete Ort. Seine «Kunstwerke mit der Fotografie» zeichnen sich sowohl durch antikisierende Requisiten (wobei mitunter bestimmte Gemälde von Caravaggio, Flandrian, Böcklin u. a. zitiert werden) als auch durch Modelle aus, die «Bauern, Hirten und Fischer» waren: «Lange vertraut musste ich erst mit ihnen werden, um sie später in der Natur, in leichten Gewändern, beobachten zu können, Auswahl zu treffen und sie geistig anzuregen durch Erzählungen aus Homers Sagen.» (Wilhelm von Gloeden) Die zu seiner Zeit noch ungewöhnlichen und recht umständlichen «Freilicht-Aufnahmen» waren dazu unumgänglich: «Bei der Fotografie ist das schnelle Ausnutzen des günstigen Moments von großer Wichtigkeit: obgleich ich Moment-Aufnahmen nie gemacht, so lernten es meine Modelle doch, in einer von ihnen willkürlich angenommenen Stellung auf einen Wink von mir fest zu verharren. So erreichte ich es, dass die Absicht nicht zu erkennbar störend ins Auge fällt und blieb möglichst frei von Pose.» Es ist in der Tat das Zufällige, das trotz aller scheinbaren Inszenierung besticht. Das Punctum, wie es Roland Barthes nannte, das «winzige Fünkchen Zufall», «mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt hat». (Walter Benjamin) Die Stempel auf der Rückseite der Fotografien mit der Bezeichnung «proprietà artistica» zeugen von diesem selbstbewussten Künstlertum. Es zeugt jedenfalls nicht von Sachverstand zu behaupten, dass Gloeden «für ein reiches Publikum nackte Fischerknaben in pseudoantiken Szenen fotografierte.» (Ernst Osterkamp).

-Bernhard Albers