Mauritz, Hartwig

(1964, Eckernförde)

 

Über Hartwig Mauritz:

Hartwig Mauritz, 1964 in Eckernförde geboren, lebt in den Niederlanden. Er studierte Elektrotechnik an der technischen Universität Braunschweig und war drei Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wuppertal. Als Lehrer am Berufskolleg Alsdorf unterrichtet er in technischen Fächern. Er veröffentlichte im Marien-Blatt Verlag Lübeck seinen Gedichtband «Echogramme» und in der Lyrikedition 2000 die Gedichtbände «biotope», sowie «rumor der frösche auf den dünnen flächen der physik». Er erhielt Preise und Auszeichnungen. 2012 gewann er den Dresdner Lyrikpreis.

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„Dieses physikalische Weltbild erhält seine poetische Aufladung und Inspiriertheit durch einen gehörigen Schuss Metaphysik, der erst aus dem Nüchternen das Wunderbare, aus Wissenswertem den Zündfunken von Geheimnissen werden lässt, der den Gedichten ihr transzendentes Ingenium verleiht.“

-Richard Pietraß anlässlich der Verleihungdes Dresdner Lyrikpreis 2012

Werk

Mauritz, Hartwig

LTB 112 - wälder kommen auf uns zu

großvater flieht
großvater flieht über die flimmerschwelle

im böhmischen dorf sieht er immer

die landschaft schweben über den nebeln
die familie auf porzellan gemalt, die sonntage

bewacht, hinter den wänden mutter und vater

im gebet bei tisch in zungen reden. schon wird
der grenzstrich bewegung. seine schritte setzen

geräusche, über gräben bewacht er die grenze

die ihn nicht zurückholen kann.													  			
                                                    

Mauritz, Hartwig

LTB 136 - die toten schlafen fest

korallen hinter glas verbannt, fische, muscheln. der boden

eine tiefseeattrappe setzt schlamm im becken ab

wo du dich hindurchzwängst, sind alle arme in arbeit

du kannst mit der haut sehen, dein haupt kann gehen

und berührt an vier seiten nur glas. dem tierpfleger

speist du das halbe aquarium ins gesicht. die beleuchtung längst

ausgelöscht vom wasserstrahl. acht arme, drei herzen, der körper

ein hirn. vom blick der besucher müd geworden. jeder spalt im deckel

ein fluchtimpuls. farbwechsel, das ist dein liebesspiel

mit tastenden bewegungen deiner tentakel die schlierigen kacheln

entlang ins offene abflussrohr hinaus in die see.
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"ein bemerkenswerter band mit einer eigentümlichen 'ernüchterung' herkömmlich-poetischen materials (licht, wald, tod etc.)"

-Autor Àxel Sanjosé über den Band "die toten schlafen fest"

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"Seine Texte wachsen, blühen auf, verändern sich, entwickeln ein Eigenleben, in dem Zeilen, Begriffe und Bilder so lange auf Wanderschaft bleiben, bis ihr Autor weiß: 'Ja, so soll es sein. Das bin ich.' [...] In allen Arbeiten schenkt er denWorten ihre Freiheit."

-Sabine Rother in der AAZ vom 31.10.2023

Mauritz, Hartwig

schwarze landschaft aus dem brillenetui nachts

Schon immer bewegten sich die Gedichte von Hartwig Mauritz in den unterschiedlichsten Wirklichkeitsbereichen, spannten Bögen zwischen Geografie und Geschichte, zwischen Sinnlichkeit und technischer Welt. Auf diese Weise hat Mauritz mit den Jahren zu einer ganz eigenen Sprache gefunden, die nicht nur subjektivste Erinnerungen an die Räume der Kindheit, sondern auch weit entfernte geografische und historische Momentaufnahmen lesbar macht als überraschende poetische Zugänge zu unserer Gegenwart. Der vorliegende Band vereinigt erstmalig eine Auswahl der frühen Gedichte des Autors.
hochauflösendes fernweh
nipkow teilt seine eltern in linien, zeilen, punkte, setzt licht

in den draht, baut weiter an morses apparat. dreißigzeilig

tastet sie die eltern ab, die drehende scheibe. weihnachten
1883. die augenbrauen hoch aufgeschossen schneidet sie

vom gesicht. die nase, der mund, das kinn kippt, fällt ins bild

der empfänger zieht schatten in punkten heran. die eltern
sitzen an der scheibe traurigen rändern kreisen die augen

werden von farben nicht satt. die eingabe, die ausgabe birgt

lücken im rhythmus laufen die achsen, die augen saugen
den schattenriss an. portraits wachsen, verlöschen in nipkows

gesicht. ihr bestand verwirrt seinen blick. nipkow

kürzt entfernungen, wenn die scheibe seine iris fixiert.													  			
                                                    

Mauritz, Hartwig

zentralgestirn

nachtspiel
deine beobachtung schafft sterne, geschliffene bilder, einen mond

dessen schatten dem meer folgt. hörst du den himmel rauschen

über dem horizont weht ein verlassener wind, fordert die bewegung

des schlafs, auf dessen planken du stehst und in die träume einbrichst

träge zieht das schiff seine bahn, wenn dir die kugel ins glas sinkt

treiben umher weithin verstreute horizonte, gekreuselte wellen

wasser, das abfließt, zurückkehrt, sich türmt. zugvögel schlagen die luft

unter ihren flügeln dreht sich der wind. es ist das ufer, das sich bewegt

bleibt nur die sonne im hafen. weit hinter den schlaf gefallen

verbrennt sie die dunkelheit.