LTB 142 – Alltag der Augen

Fels und Mond

Des Mondes spitze Sichel wetzt


die Scharte des Gebirges scharf,


das glüht noch von der Sonne jetzt,


die über Tag die Strahlen warf.

Wie Wäschestücke, ausgesetzt


zur Bleiche, liegen kleine Zipfel


und Fetzen Schnees noch von zuletzt


auf steilen Hängen unterm Gipfel.

Allmählich blaßt der rote Rücken,


und auf dem Felsendach die Lappen


von Schnee sind wie verzinkte Lücken.

Die Zähne des Gebirges schnappen


wie hungrig nach dem goldnen Kipfel


des Monds, der hochschwebt … unverletzt!

~~~

Aus dem Nachwort:

Die in der Barockzeit beispielsweise bei Gryphius vorherrschende strenge Form [des Sonetts] wurde bis zur Gegenwart häufig nachgeahmt, variiert oder auch parodiert. Victor Wittner löst die feste Form dagegen manchmal sogar teilweise auf, so dass vom Sonett nur noch ein Rumpf übrigbleibt, indem er z.B. den vorgegebenen Strophenbau variiert oder eine Coda, einen abschließenden Vers, hinzufügt. […] Ein „erstaunliches Formvermögen“ bescheinigt der Kritiker der „Neuen Zürcher Zeitung“ Victor Wittners Sonetten und eine „linguistische Equilibristik, die der Sprache den Meister zeigen will und zeigt“. Aber auch aktuelle Stimmen sind von den Sonetten überzeugt. So urteilt der Lyriker Richard Dove, dass die Sonette Victor Wittners „ein sehr starker Zyklus sind, dessen anfängliche Frivolität umso unerbittlicher in harte, wahre existentielle Einsichten umschlägt.“ Zudem könne der Zyklus sogar mit „Hofmannsthals Lebenslied konkurrieren“. Der Literaturwissenschaftler und Lyriker Reinhard Kiefer weist im Gespräch darauf hin, dass den zeitgenössischen Sonetten „ein Kompendium alltäglicher und durchaus trivialer Begebenheiten entgegengesetzt wird“.

Thomas Mann. Letzte Liebe

Trotz der Zufriedenheit, trotz der Gewißheit, große Tage verlebt zu haben, die so gewiß nicht mehr wiederkommen, spürte er in sich zugleich einen starken Mangel an Rührung, an Betroffenheit. Was hatte man denn in solchen Augenblicken des Triumphs, und von solchen hatte er ja schon recht viele erlebt, zu empfinden? Er wußte es nicht mehr genau. Vielleicht hatte er es vergessen. «Was man alles vergißt. Manches will man ja auch vergessen. Man ist dann recht dankbar, wenn es gelingt.» Etwas in ihm war schon sehr weit, schon in Auflösung. Was geschah, das waren Variationen, Wiederholungen auf freilich hohem Niveau.

LTB 141 – Dein Ich ein in die Luft geworfener Stein

Möge der vorliegende Band, der anlässlich des 90. Geburtstages von Albert von Schirnding erscheint und die Entwicklung seiner Lyrik über einen Zeitraum von 70 Jahren nachzeichnet, dazu beitragen, diesem bemerkenswerten, hochgebildeten und zugleich so bescheidenen Dichter, der sich nie an modische Attitüden verloren hat, sondern literarisch stets seinen eigenen Weg gegangen ist und weiterhin geht, jene Aufmerksamkeit zu bescheren, die ihm gebührt.

Neunzehnhundertvierzehn


(Vor einem Bild von August Macke)

Begegnungen


auf einer Brücke


aus hellem Holz

Begrüßungen


flüchtig und heiter


blaue Mützen rote Hüte


im Nachmittagslicht

Wir müssen weiter


ihr dahin wir dorthin


Unser Maler


hat keine Zeit zu verlieren


Ihn ruft


der schönste Tod

RTB 124 – Echnaton als Henotheist

Zum ersten Mal in der Geschichte ändert ein Pharao seinen Geburtsnamen in Echnaton, «einer, der wirksam ist für Aton» und übernimmt die persönliche Verantwortung inform von Richtlinien für ein Gesamtkunstwerk.


Große Teile des Gesamtkunstwerks Echnatons sind nach über dreitausend Jahren wie durch ein Wunder, von Naturgewalten unbeschadet, strahlend wieder auferstanden. Herrlich erhalten in den Pylonen Karnaks, im Sand von Amarna und im Grab Tutanchamuns. Wieder ist ein Versteck der Alten Welt entzaubert.


Was wir dagegen hinterlassen, hat keinen ästhetischen Wert. Die Entdeckung unserer Verstecke wird den Ungeborenen apokalyptische Todesqualen bereiten.

Die Atterseekrankheit

Die Mutter, die zeitweise von einer geheimnisvollen Krankheit geplagt wird, spielt in diesem Roman eine große Rolle. Und die Krankheit ist eine Metapher für eine bestimmte Nerven-Konstellation, Sensibilität, ja Verrücktheit, die sie mit ihren Zwillingssöhnen teilt, besonders mit dem einen – Friz, dem Erzähler. Wenn er groß ist, will er so leben wie seine Mutter. “Lesungen, Hotelzimmer, Taxis. Ich werde Dichter wie die Mutti”. Doch bevor sich dies bewahrheitet, retten sich die Zwillinge aus dem Elternhaus in eine politisierte Jugend in Darmstadt, fliegen von der Schlule und leben ein aufregendes Leben.

Ein Roman der Generation nach 68, ein Panoptikum einer politisierten Zeit ebenso wie dasjenige eines ausschweifenden Lebens eigenster Prägung.

LTB 140 – Bei Anruf Klopstock

[…] Sonst verkehrte sich deine erhabene Sicht in ihr Gegenteil:


Ironie, Sarkasmus, zur Not ein pragmatisches Grinsen –


Antwort auf schier nicht vorstellbare Kriege, auf Kapitalismus.


Unsere Smartphones ermöglichen zwar ein quasi „nahtloses“


Sich-Verständigen, doch wer würde, wie du einst, es wagen,


den unermesslich Fernen, einfach so, anzurufen?


Sorry, die Leitung ist schlecht, profan zugeklebt meine Ohren.


Nur in der niederen U-Musik überlebt locker dein Anruf


in den Entgrenzungsversuchen der bleiernen Zeppeline,


oder der rollenden Steine (bevor sie nur noch Moos ansetzten),


auch noch im Aufruf, gegen die Maschine zu wüten … […]

aus dem Titelgedicht Anruf bei Klopstock

~~~

Bei Anruf Mord heißt es in Hitchcocks Welt; in Bei Anruf Klopstock wählt Richard Dove K statt M, aus dem Bedürfnis heraus, über die schiefen
Zeitläufe mit dem Meisterdichter, quasi dem Heavy-Metal-Star des 18. Jahrhunderts, anlässlich seines 300. Geburtstags ein Stück weit ins Gespräch zu kommen. Mitunter durch Verwendung von Kommunikationsformen wie Hexameter oder alkäische und asklepiadeische Ode, die dem seraphischen Hymniker vertraut wären. Berichtet wird in sieben Gesprächsanbahnungen von der Enge eines arg säkularen Lockdowns (I), von der Verstrickung in die zu seiner Zeit kaum vorstellbare Stacheldrahtsprache zeitgenössischer Kriegsführung (II), sowie von Ausbruchsversuchen in den (von Edward Said in der Zwischenzeit dekonstruierten) „Orient“ arabisch-persischer Ghaselen (III), in weinselige und numinose Scheinwelten (IV & V), in die Un- bis Überpersönlichkeit von Internet-Collagen (VI) und, zu guter Letzt, in postcelansche Lieder „jenseits der Menschen“ (VII). Auch wenn das Telefonat zwangsläufig fehlschlägt, entsteht immerhin ein Nachdenken über das Gefälle zu einer
recht anders gearteten Epoche.

Im Jahr 2025 als Lyrik-Empfehlung ausgezeichnet: Weitere Informationen dazu finden Sie HIER.

RTB 123 – Eulen. Spiegel. Sterne.

Der Mann, der Landschaften sammelt, und sein Bruder. Der Junge, der beim Pflastermaler lebte. Die Nacht im Flugzeug zwischen Angst und
Glück. Der altgewordene Erotiker, der den Mars beobachtet.

Vier Erzählungen Friedrich Kröhnkes, die bisher nicht in Buchform oder überhaupt noch nie erschienen sind. Sie sind für diese Ausgabe neu durchgesehen, kleine Fehler wurden korrigiert, die Texte an wenigen Stellen behutsam bearbeitet.

~~~

„Friedrich Kröhnke hat eine ganz besondere Art Dinge, Menschen, Situationen zu beschreiben, die mit nur wenigen Worten, wenigen Sätzen lebendig werden. Hinzu kommt sein besonderer Humor, der sich ausdrückt in lakonischen Sätzen und Wiederholungen. Und dann hat dieses Bändchen ein ganz bezauberndes Cover.”

-Peter Hedenström auf facebook

~~~

Inhalt:


Sagen wir es sind Landschaften


Rheinfahrt


brace– brace–


Eulen. Spiegel. Sterne.

 

RTB 122 – Echnaton in der Oper (1984)

Inhalt:

I          Echnaton in der Oper – von Bernhard Albers


II        ECHNATON. Oper in drei Akten – von Philip Glass


III      Im Horizont des Aton – von Ulf von Rauchhaupt

“Akhnaten” ist die letzte einer Reihe von wenigen Künstleropern nach Richard Wagner. Neben Richard Strauss, Franz Schreker und Benjamin Britten wären noch Hans Pfitzner und Paul Hindemith zu nennen.

RTB 064 – Briefe 1955-1983

Die Liebe zur Literatur hat sie zusammengeführt: Hans Bender , den Schriftsteller und Herausgeber in Mannheim und Köln, und Rainer Brambach, den Gartenbauarbeiter und Lyriker in Basel. Briefe über Bücher und Autoren, Freunde und Frauen, über den Beruf, den Alltag und was sie mehr bewegt als die Tendenzen oder Moden der Zeit: das Handwerk ihres Schreibens.


Spontante, heitere, traurige, ganz persönliche Briefe, die eindrucksvoll die Freundschaft dokumentieren und zudem Einblicke vermitteln in die Literaturgeschichte jener vergangenen Tage.

LTB 139 – Klüfte / Klagen / Klärungen

Wunsch

In Räume möcht’ ich stürzen, ohne Ende,


ohn’ Dach und Boden, ohne enge Wände,


und gleiten durch des Weltenraumes Kluft!


Hinab, hinab in ungeahnte Tiefen,


wo Sphärengeigen lockend nach mir riefen,


und mich umfinge wundersamer Duft …

Losreißen möcht’ ich mich von dieser Erde,


daß frei und rein und sorgenlos ich werde


und leichtbeflügelt wie der Frühlingswind!


Daß nicht der trübe Alltag mich gefangen,


geknechtet hielte: dies ist mein Verlangen! –


… Ob ich den Weg wohl einmal, einmal find’?

~~~

Mit diesem Band wird das lyrische Debüt des Dichters zugänglich gemacht. Der Abdruck der Gedichte in dieser Ausgabe entspricht der im Leipziger Sphinx-Verlag 1914 erschienen Originalausgabe.