Damals in Czernowitz und rundum

Erinnerungen eines Altösterreichers

 

Die lebenslange Trauer um den Verlust der unvergeßlichen ersten Heimat hat Drozdowski im hohen Alter in ein «Bedürfnis des Bewahrens umgemünzt» (Christa Hagmeyer) und der Bukowina in seinen Erinnerungen Damals in Czernowitz und rundum (1984) ein Denkmal gesetzt. Dabei ging es ihm nach eigenen Worten nicht darum, «Historie» zu schreiben und exakte Daten und Fakten zu sammeln, die ein Wißbegieriger in der Fachliteratur nachschlagen könne. Er habe sich darauf beschränkt, «Gelebtes festzuhalten», um «etwas vor dem Vergessenwerden zu bewahren», bevor es «dem Gedächtnis entrückt und in der Zeit versunken» sei. Indem Drozdowski der einstigen «Oase im Osten» erzählend Farbe und Leben verleiht, entstand, wie der Kärntner Kritiker Othmar Herbrich schrieb, «ein tief empfundener heimatlicher Bilderbogen, der viele kleine Geschichten sammelt wie die bunten Steinchen, die ein Mosaik ergeben sollen».

Du, weißt du, wie ein Rabe schreit?

Du, weißt du …

Du, weißt du, wie ein Rabe schreit?


Und wie die Nacht, erschrocken bleich,


nicht weiß, wohin zu fliehn?


Wie sie verängstigt nicht mehr weiß:


Ist es ihr Reich, ist es nicht ihr Reich,


gehört sie dem Wind oder er ihr,


und sind die Wölfe mit ihrer Gier


nicht zum Zerreißen bereit? ..

Du, weißt du, wie der Wind schrill heult


und wie der Wald, erschrocken bleich,


nicht weiß, wohin zu fliehn?


Wie er verängstigt nicht mehr weiß:


Ist es sein Reich, ist es nicht sein Reich,


gehört er dem Regen oder der Nacht


und ist der Tod, der schauerlich lacht,


nicht sein allerhöchster Herr?

In Deutschland angekommen

Obwohl sich die deutsche, christlich geprägte Kultur in einem völlig anderen Bild präsentiert als die Berichte aus der Literatur und seine eigene Vorstellungskraft es vermittelt hatten, entdeckt er – je länger er dort lebt – eine Liebe und Verbundenheit zu diesem Land und seinen Bewohnern. In Marburg mit seinem multikulturellen, studentischen Flair fand er schon bald sogar so etwas wie Heimatgefühl und patriotische Identität, obgleich ihm so manches in und um Marburg bis zum heutigen Tage fremd geblieben ist.

In 76 kurzweiligen, teils amüsanten, teils dramatischen Fragmenten stellt Khallouk das Leben und die Gesellschaft in Marburg aus der Perspektive eines Immigranten aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis dar, und ermöglicht uns dadurch eine Reflexion unserer deutschen Geschichte und Gegenwart sowie unseres vertrauten Alltags, wie sie ein hierzulande Aufgewachsener, in die deutsche Kultur Hineingeborener kaum erwecken kann. Zugleich lässt der Autor erkennen, dass trotz der zweifellos vorhandenen kulturell-religiösen Divergenzen zwischen Abend- und Morgenland in unseren menschlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten die Gemeinsamkeiten überwiegen.

RTB 078 – Pont-Neuf

«Ich stelle ihn», schrieb einst Eugène Ionesco über André Breton (1896–1966), die zentrale Figur der surrealistischen Bewegung, «auf eine Stufe mit Einstein, Freud, Jung oder Kafka. Mit anderen Worten, ich betrachte ihn als einen der vier oder fünf großen Reformer des modernen Denkens.» Diese überragende Bedeutung Bretons manifestiert sich nicht nur in seinen «großen» Büchern (Manifeste des Surrealismus, Nadja, Die kommunizierenden Röhren, Amour fou etc.), sondern auch in der Vielzahl «kleiner» Schriften, die er veröffentlicht hat – Vorträge, Essays, Polemiken, Vor- und Nachworte usw. – und von denen hier einige, wie zuvor schon in dem Band Bindestrich. Texte 1952–1965 (Rimbaud Verlag 2008), in deutscher Erstübersetzung vorgestellt werden: Texte zum Surrealismus, zum Film, zur Kunst der Südsee, zum sog. Sozialistischen Realismus, zur Magie von Paris («Pont-Neuf») u.a.

Heribert Becker (1942–2015) arbeitete nach seinem Studium in Köln, Nancy und Paris (Germanistik, Romanistik) 30 Jahre lang als freier Autor für den Hörfunk. Ab Mitte der 70er Jahre spezialisierte er sich publizistisch mehr und mehr auf den Surrealismus. Als Autor, Ausstellungsmacher, Herausgeber und Übersetzer hat er bis heute über 80 Bücher publiziert, davon gut die Hälfte surrealistischen Inhalts: Anthologien sowie vor allem Übersetzungen von Autoren wie André Breton, Benjamin Péret, Leonora Carrington, Jacques Prévert u.a.

RTB 079 – Nacht würgt Europa

Tragödie in fünf Nächten

Für seine Tragödie Nacht würgt Europa legt Gong gleich zu Beginn Zeitpunkt und Ort des Geschehens fest: «Frühling 1942, in einem von den Hitlertruppen besetzten europäischen Staate». Jedoch das Land bleibt unbestimmbar mit einem Schauplatz, der sich mal universell gibt, indem er an Jugoslawien, Griechenland und den umkämpften Osten denken lässt wie auch an die Kulturinsel Siebenbürgen – und mal surreal, märchenhaft, utopisch.

Major Starnburgs Mitleid für Luise und Peter mutet zunächst merkwürdig an. Die beiden werden verdächtigt, mit Partisanen in Verbindung zu stehen und an einem Anschlag auf einen Militärzug beteiligt gewesen zu sein. Sie werden daher inhaftiert und zuerst Major Starnburg, dann Oberst Kritz vorgeführt. Seine Entschlossenheit, dem Paar zu Hilfe zu kommen, erklärt Starnburg damit, dass ihr Schicksal ihn an sein eigenes erinnere.

So reich wie das Drama an Motiven und kleineren Handlungssträngen ist, zieht sich der Themenkomplex Liebe – Verzweiflung – Tod unter dem Motto eines Heine-Gedichts durch das gesamte Bühnenstück. Indem Gong den Figuren Starnburg und Kritz dichterische Ambitionen verleiht, weist er auf die oft formulierte Frage hin, wie ein Land, das Dichter wie Goethe und Schiller hervorbrachte, zugleich die Vernichtung von Millionen von Menschen unternehmen konnte. Auch Anatols Dichtung ist Ausdruck seiner Liebe. Es wird deutlich, dass ein Künstlerdasein und das Leben eines Kämpfers einander ausschließen.

Der Ausgang der Tragödie ist für Unterdrücker wie Unterdrückte gekennzeichnet durch Verlust von Leben, Liebe und Integrität sowie Verzweiflung darüber, dass diese unter den vorherrschenden Verhältnissen keine Rolle spielen.

Alfred Gongs Drama Nacht würgt Europa wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.

RTB 080 – Belphégor, das Phantom des Louvre

Die dreizehnteilige Serie «Belphégor, Le fantôme du Louvre» aus den Kindertagen des Fernsehens basierte auf dem Unterhaltungsroman von Arthur Bernède aus dem Jahre 1927. Er diente dem Regisseur als Grundidee für ein filmisches Meisterwerk, durchaus vergleichbar mit Alfred Hitchcocks «Vertigo» (Rodenbachs «Brügge, die Tote») oder – bleiben wir im deutschen Raum – mit Helmut Käutners «Zürcher Verlobung» (Barbara Noack).

Bernhard Albers

Heribert Becker (*1942) arbeitete nach seinem Studium in Köln, Nancy und Paris (Germanistik, Romanistik) 30 Jahre lang als freier Autor für den Hörfunk. Ab Mitte der 70er Jahre spezialisierte er sich publizistisch mehr und mehr auf den Surrealismus. Als Autor, Ausstellungsmacher, Herausgeber und Übersetzer hat er bis heute über 80 Bücher publiziert, davon gut die Hälfte surrealistischen Inhalts: Anthologien sowie vor allem Übersetzungen von Autoren wie André Breton, Benjamin Péret, Leonora Carrington, Jacques Prévert u.a.

Die Goldene Düne

Das Buch, dessen stilistische Brillanz besticht, [liefert] nicht nur tiefere Einsichten in die Voraussetzungen des «Arabischen Frühlings» und der gegenwärtigen weltpolitischen Situation, […] sondern sensibilisiert zugleich für die Sphäre des Künstlerischen und der Literatur.

Christoph Leisten, AN 27.9.2014

RTB 096 – Argana

Seit 1982 reist Christoph Leisten regelmäßig nach Marokko. Nach seinem Prosaband «Marrakesch, Djemaa el Fna» vermittelt uns Leisten mit weiteren Skizzen, Notizen und Prosaminiaturen zweifellos den bleibenden Eindruck einer einzigen «großen» Reise durch Marokko.

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WANN ENTSTAND in mir der Impuls, von diesem Land zu erzählen? Ich weiß es nicht mehr. Irgendwann war das Bedürfnis da: Befreiung und Sündenfall. Befreiung, weil es die Chance barg, sich all das Neue, das Fremde, das Andere zu vergegenwärtigen; Sündenfall, weil fortan nichts mehr sich unbedarft erleben ließ.

“DIE LEUTE aus Europa kommen immer wieder und sagen, dass sie die Marokkaner nicht verstehen, die Marokkaner nicht und auch nicht das Land”, bemerkt Noureddine heute. Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: “Ich kann ihnen nicht helfen. Niemand kann ihnen helfen. Der Punkt ist, dass wir Marokkaner uns ja selbst nicht verstehen.”

RTB 081 – Michael Guttenbrunner. Ein Autor verschwindet

Michael Guttenbrunner wurde 1919 in Althofen in Kärnten geboren. Er lebte seit 1954 in Wien, wo er 2004 starb. Seine präzise Arbeit am Text ist an Karl Kraus geschult. Mit seinem Werk ist er für die österreichische Literatur durchaus das, was Ludwig Hohl für die Schweiz bedeutet.

Der Rimbaud Verlag verliert die Rechte am Werk Guttenbrunners, sieben Jahre nach seinem Tod, obwohl der Autor schriftlich bestätigte, daß er nur in diesem Verlag sein Werk wissen wollte.

Wie es dazu kam, erfährt der Leser hier zum ersten Mal.

RTB 082 – Poesie der Malerei

Die Malerei von Otto Greis wird von dem Anspruch geleitet, die gegebene Fläche des Bildträgers im Bild selbst aufzulösen. Diese Vorstellung formuliert er 1960 in einem Brief an den Kunsthistoriker Karlheinz Gabler: «Viele Maler hören dort auf, wo das Problem der Malerei beginnt, bei der Durchdringung mit der dritten Dimension.» Doch nicht erst ab den 60er Jahren widmet sich Greis Problemen des «Raumkörpers», so der von ihm gewählte Begriff. Vielmehr begleitet ihn dieser als Grundton beständig und findet in den deutlich wechselnden stilistischen Phasen unterschiedliche Ausformungen.