Im Labyrinth einer Revolte

Celan Studien 03 – Schibboleth

Zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker nach 1945 werden vier Abhandlungen vorgelegt:

«Schibboleth» oder Die Identifikation mit dem Spanischen Bürgerkrieg

«Am Stiefpol» oder Die Abrechnung mit der kommunistischen Diktatur

«Ein Wort mit all seinem Grün» Zu einem lyrisch-poetologischen Dialog Erich Arendts und Ernst Meisters mit Paul Celan

Celan übersetzt Picasso

KS Bd. 06 – Nelly Sachs

Der Briefwechsel mit Nelly Sachs umfaßt die Jahre von 1958 bis 1969.

In der Werkausgabe Karl Schwedhelms sind zwei Essays über Nelly Sachs enthalten. Bisher ist nur bekannt und dokumentiert, daß er mit Gottfried Benn korrespondiert und dessen Werk regelmäßig besprochen hatte. Beim vorliegenden Briefwechsel mit Nelly Sachs können die Rezensionen in ihrer werkbegleitenden Funktion nicht mehr nachgewiesen werden. Vielleicht läßt sich dies aber aufgrund entsprechender Hinweise und Belege nachholen.
Offensichtliche Flüchtigkeits- und Interpunktionsfehler wurden behutsam korrigiert. Der Kommentar wurde im Anhang untergebracht und nicht den Briefen beigegeben, damit diese nicht, wie so oft, von Herausgeberwissen überwuchert werden. Wer sich im Werk von Nelly Sachs auskennt, kann ohnehin darauf verzichten. Den anderen möge er erste Verstehenshilfe sein.

Granatapfel

“Der Titel des schmalen Bandes mit frühen deutschen Gedichten Tuvia Rübners empfiehlt ein Gedicht der Sammlung beseonderer Aufmerksamkeit: Granatapfel. Seit dem Altertum ist der in Hainen angesiedelte krummästig-dornige, scharlachrot blühende Granatapfelstrauch, Punica granatum, im vorderen Orient als Fruchtbaum heimisch; die reife Frucht enthält in einer dünnhäutigen Hülle viele Samenkerne und wurde deshalb früh als Fruchtbarkeitssymbol angesehen – geweiht der phönizischen Astarte ebenso wie Demeter, Hera, Aphrodite oder Athene, verwendet bei Mysterien und vielfach dargestellt. Von der emphatischen Fruchtbarkeitssymbolik findet sich freilich im Gedicht kaum eine Spur – dafür eine emblematische Struktur, wie sie sich im Emblemata-Handbuch Arthur Henkels und ALbrecht Schönes nachschlagen läßt: der Granatapfel erscheint da als Sinnbild der Verbindung guter und schlechter Eigenschaften.” – Hans Otto Horch, aus dem Nachwort

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Granatapfel

Aus Schattengrün entgegen das Purpurrot,


geheime Frucht mir leuchtet im dunklen Laub.


– Wo Apfel, hell, wo reife Birne,


flaumige Pflaume und samtner Pfirsisch?

Dort, wo sie birst und glasige Fülle quellt,


metallen glänzend drängt sich dicht Kern an Kern.


Und tausend Augen starren lidlos,


Tränen vergaßen die kühlen Augen.

So spiegelt klar und liegt in ergriffner Hand


Geheimnis kalter Flamme und stummen Seins.


Und tiefer fühl ich und begreife


Sehnsucht und Sprache und Nacht der Toten.

Nadir

Mare occidentis. Das verborgene Licht. Chrysopöe

Der Doppelgänger

Herren der Gezeiten

aus dem Titelgedicht:

Verschmähe getrost, wenn sie See ins Unnennbare kehrt,


in Pfützen Sterne zu haschen, dein hanfenes Herz


knote neu und teere die Rippen mit Stille.


Verwandlung wird dir alle Erlösung weinen,


ob auch der Kuß vom Salz der Gezeiten bedroht,


Demselben Tode, der die Gallionen bedroht,


kränzt sie der rissige Wind in die lärmenden Jahre,


gib sie dem Schaum auf dem Mut der Minute zurück.

Wagnis und Passion

Ein Fischer

Ob er noch einmal Farbe und Strich einbrächte nach alter Bewähr? Mit weit geklafterten Fingern durchsiebt er aufs neue die brackigen Heimatgewässer in sonnendiktierten, immer engeren Kreisen. Sieh, wie um ihn die Kulissen schwanken! Und dies Schweigen über der Mitte.

Gegen Abend wölbte ein Sturm die WIpfel ihm ins Gesicht. Wäre er niedergekniet, seine dampfenden Schultern hätten die leichtere Liebe gelernt.

Im Dunkeln zog er endlich einen mürrischen Mond an Land, polierte den Umriß, der nicht mehr an Widerstand dachte, setzte die Signatur. Dann verließ der Koloß, unter den Wolken, die sich jagten zu immer neuen Metamorphosen, aufrecht den Schauplatz in Richtung der eigenen Starre.

Prosa 1931–1979