LTB 021 – In tödlicher Not

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ich lebe ohne die Sterne zu sehen /
ich rede ohne die Worte zu verstehen /
ich warte ohne die Tage zu zählen /

bis jemand diese Mauer durchbricht

Lebenslauf

1945 wurde ich geboren. Ich besuchte Schulen, wuchs heran in Bibliotheken, auf Bahnhöfen, in fremden und weniger fremden Häusern, in Kneipen und Spelunken und noch an anderen Orten. Ich fuhr auf Flüssen, segelte auf Seen und sogar auf dem großen Meer, ich nahm teil am Abenteuer – «Die Welt stand mir offen, leider.» Manches Mal bin ich gestorben, und dann rief ich von der anderen Seite des Lebens herüber: «Kuckuck.» Reicht das?

P.S. Ich kann auch anders.

Rafał Wojaczek (1945–1971) war eine schillernde, skandalumwitterte Persönlichkeit: Alkoholiker, Rebell, «Breslauer Rimbaud», Bohèmien und Streuner, «Clochard an den schmutzigen Kanälen der Oder» und Selbstmörder.
Unabhängig von den Masken, die er trug und den Rollen, die er spielte, fühlte sich Wojaczek schon früh als Künstler.

[…]
In unterschiedlichen Masken lässt Wojaczek sein Ich über Müllplätze und durch schmutzigen Schnee stapfen, immer auf der Suche nach einem «Ruhepol» für das «verrückte Herz».
[…]

Nico Bleutge
Stuttgarter Zeitung
6. April 2018

LTB 012 – Welch böses Blut

LTB 010 – Wegmarken

EB Bd. 03 – Der Wandelstern

«Der Wandelstern» ist kein trauriges, eher ein offenbarendes Buch, dem Wilhelm Hausenstein in der Frankfurter Zeitung, kurz nach Barths Tod, eine «Art von Vollkommenheit» nachrühmte.

Kindheit. Fragment einer Autobiographie

Der Autor, geboren am 20. Juni 1904 in Berhometh am Pruth, lebte bis 1930 vorwiegend in der Bukowina, dann in Bukarest. 1941 bis 1944 war er in Arbeitslagern der rumänischen Faschisten interniert; 1947, verschleppt nach Rußland, verschwand er für 10 Jahre im Gulag. 1961, wieder politisch verfolgt, mußte er aus Rumänien fliehen und kam nach Deutschland. Er starb am 17. Mai 2003 im Schwarzwald.

Die Kindheit erlebte er bis zum 1. Weltkrieg in den Dörfern zwischen Pruth und Czeremosch in einer kinderreichen Bauernfamilie. Dann folgten Flucht, der Tod des Vaters, völlige Verarmung; danach Wanderjahre auf Arbeitssuche.
Weiteres zum Lebenslauf im oben genannten Essay von Matthias Huff.

Die ersten fünfzehn Jahre dieses Lebens, das noch viele Katastrophen unseres Jahrhunderts durchlaufen sollte, schildert der Dichter im vorliegenden Buch.

«Sehr fremd und unheimlich vertraut mutet diese Geschichte an, rücksichtslos schön erzählt, zart und rabiat im Wechsel, der Umstände halber häufig düster. […] ‹Kindheit› ist […] ein Kleinod von besonderer, im wahrsten Sinne seltsamer Größe.»

Der Spiegel
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«Von keiner Utopie läßt sich [Rosenkranz] sich etwas vormachen; keine Ideologie kann ihn über die Realität hinwegtäuschen.»

Thomas Rietzschel, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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«… Das Wunder dieses Buches ist Rosenkranz’ Deutsch, das so wenig standardisiert ist wie sein ganzer Bildungsgang und sein Lebenslauf. Es ist ein intensives, hochpoetisches, präzises, wie hastiges und zugleich unverbildetes Deutsch, das Resultat des Versuchs, gewissermaßen dichterisch und unmittelbar auf die Möglichkeiten der deutschen Sprache durchzugreifen. […]
Diese gar nicht herleitbare Liebe zum Deutschen prägte, zusammen mit der Geschichte dieses Jahrhunderts, sein Leben, und wir haben den Gewinn in Gestalt eines dichterisch bedeutenden und als Zeitzeugnis unvergleichlichen autobiografischen Fragments […]»

Jörg Drews, Süddeutsche Zeitung
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«Eines der schönsten Bücher aus jüngster Zeit sind die Kindheitserinnerungen von Moses Rosenkranz, der uns bislang vor allem als Lyriker bekannt war. […] Rosenkranz schildert das Leben jüdischer Kleinbauern, und das ist neu und spannend, aus direkter Nähe, aus der Perspektive des Kindes, eng vertraut mit Tieren und ländlicher Arbeit. […] Das zentrale Ereignis dieser Kindheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der große Krieg, der die scheinbar so festgefügte Welt wie ein Kartenhaus zum Einsturz bringt. Der Krieg erscheint dem jungen Moses als Aneinanderreihung absurder Episoden […], erzählt in dieser wunderbaren Sprache, die Rosenkranz als großen Prosadichter auszeichnet.»

Martin Pollack, Literaturen
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Im Frühherbst 2018 meldete sich ein Pfarrer und Psychologe aus Hessen bei dem Verleger Bernhard Albers mit dem Hinweis, der Dichter Moses Rosenkranz habe sich an Jungen sexuell vergangen. Der Rimbaud Verlag hatte alle Bücher ediert, die seit den 1990er Jahren von Moses Rosenkranz erschienen sind. Bernhard Albers hatte die Idee, die Erinnerung in der Form eines Gesprächs festzuhalten – ein Akt des Beistands, der entsetzliche Fragen aufwirft: Wie kann ein Mensch, zumal ein Mann von Geist, der zur NS-Zeit und anschließend von den sowjetischen Schergen über viele Jahre gefoltert worden war, einem kleinen Menschen derartiges Leid zufügen? Das Interview finden Sie HIER.

Aus dem Zeitlied eines Kindes

Ernst Meister Jahrbuch 07. 1999

Meister Studien 06 – Leib und Dichtung

Zypressenlicht

Am hellen Tag

Wo kam ich hin am hellen Tag?


Kam ich hierher am hellen Tag?


Der Mann im Boot schwenkte sein Ruder und setzt


wieder über zum anderen Ufer. Ein Hund hob das linke Bein,


verstreute Reste von Schalen, das Licht ein wenig


zypressenhaft. Ich sprach zu mir. Hierher kam ich,


sprach ich zu mir, und


weshalb kam ich hierher am hellen Tag?


Ein kleines Mädchen, einen Fink in der Hand,


glaubte, sie könne sich drücken. Auch Kinder –


schwenkte sein Ruder und setzt wieder über zum anderen Ufer –


kommen hierher. Wie Schatten bin ich hier im eigenen Herzen


Wie Schatten mein Herz.


Weshalb kam ich hierher am hellen Tag?

(übersetzt von Manfred Winkler)

Pound Studien 01

Der Band enthält die Aufsätze:
«Ezra Pound – Größe, Schuld und Tragik eines Dichterlebens»,
«Vortex und Rock drill – Ezra Pound und der Bildhauer Jacob Epstein»,
«Ezra Pound, Wyndham Lewis und der Vortizismus».

… Das neue Büchlein, gedacht als Anfang einer Sammlung der Pound-Studien, bringt drei Arbeiten zum unerschöpflichen Thema. Die erste – ein Vortrag über «Größe, Schuld und Tragik eines Dichterlebens» – bündelt noch einmal Pounds menschliche und politische Problematik. Gegen die Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-These, die den Dichter exkulpiert, setzt Schmied den Satz: «Es gibt nur einen Pound»…
Der Vortizismus, zu dessen Wortführern neben Wyndham Lewis und Henri Gaudier-Brzeska Ezra Pound gehörte, verstand sich als Gegenbewegunf zum Futurismus. Gott oder Teufel – gerade bei Pound stecken sie im Detail. Und so bewegt sich der Essayist und Kunsthistoriker Schmied am glücklichsten dort, wo er Phänomene der Poesie und der bildenden Kunst zusammen schauen kann …

Harald Hartung, FAZ, 7.7.2000