HB Bd. 07 – Vom Leben, Schreiben und Herausgeben

Hans Bender ist kein Anakreontiker und hat keine Kampf- und Siegeslieder verfasst. Seine Lyrik, seine Geschichten, seine Aufzeichnungen spiegeln die Schicksale seiner Generation: derer, die knapp nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geboren wurden und die dem Zweiten noch gerade entkamen. Er hat ihr als Schreibender zu Stimme und Selbstbewusstsein verholfen.

Kyra Stromberg

Die Grenze zu einem «Bericht» über Benders Kriegsjahre wie «Erlebte Zeit» ist kaum merklich: Mehr als die Hälfte des Textes schildert den Marsch des Leutnants Bender mit den ihm anvertrauten 196 Mann Anfang 1945 aus dem Westen in den Kurlandkessel und damit direkt in die sowjetische Kriegsgefangenschaft – ohne dass ein Wort der Anklage fällt, wird die nüchterne Erzählung zum Dokument über die Sinnlosigkeit und den Leerlauf der Kriegsmaschinerie.

Volker Neuhaus

Wir – die nach dem Krieg Aufgewachsenen – können uns heute nur schwer vorstellen, mit welch unmittelbarer Gewalt der Krieg ein Leben geordnet hat, in die Zeit davor und in die Zeit danach, wenn es denn überhaupt ein «danach» gab. Und auch die Zeit davor, die friedliche, gern verklärte Kinderzeit, war ja eine Zeit danach, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, eine Zwischenzeit zwischen zwei Kriegen.

Michael Krüger

Sein waches Gewissen, die beständige Unruhe, die hinter seinem gelassenen Erzählen spürbar ist, und seine Menschenkenntnis – haben es mir angetan. Er macht sich nichts vor.

Hermann Lenz

LTB 115 – Teile dich Nacht

Nach dem Gedichtzyklus «Die Suchende», der im Spätherbst 1966 erschien, hat Nelly Sachs kein Buch mehr veröffentlicht.

Zwar blieb sie literarisch tätig bis zum endgültigen Versagen ihrer physischen Kräfte. Dramatische Projekte beschäftigten sie fast ununterbrochen. Die lyrische Produktivität war, wie früher, mehr intermittierend; 1968 schrieb sie wieder mehrere Gedichte, zur Zusammenstellung eines Gedichtbandes kam es aber nicht.

RTB 104 – Odyssee

1935, unter dem Eindruck der wachsenden Kriegsgefahr in Europa veröffentlicht Jean Giraudoux sein Stück Der trojanische Krieg wird nicht stattfinden.

«Warum sollte es zum Krieg kommen?» heißt es auf der Bühne. Der Erfolg war erwartungsgemäß überwältigend: beinahe zweihundertmal hinter einander musste das Werk gespielt werden.

Der Autor starb 1944. Zwei Jahre zuvor veröffentlichte Jean Anouilh sein Stück Antigone nach der gleichnamigen Tragödie des Dichters Sophokles aus dem Jahr 442 v. Chr. Dieses Werk feierte man wiederum als Sinnbild für den französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die Odyssee ist neben der Ilias das zweite, dem Dichter Homer zugeschriebene Epos. Es schildert die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg.

Die homerischen Gedichte sind in einer Kunstsprache geschrieben, die «in dieser Form niemals wirklich gesprochen wurde.» (Herbert Bannert) Sie umfassen rund 12000 Hexameter in 24 Gesängen.

«Mit dem vierundzwanzigsten Gesang», schreibt Georg Drozdowski, «endet die Odyssee und wir setzen sie im dreißigsten fort» und zwar mit einem «Heimkehrerstück» vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit von 1945. Im Gepäck «alle Qualen des Leibes und alle Martern der Seele – Krieg, Schmerz, Hunger, Angst, ungestilltes Verlangen, bittere Gefangenschaft und getäuschte Hoffnung.»

RTB 103 – Mein Czernowitz

In der Zeit um das Jahr 1938 schrieb Josef Burg eine Reihe von Erzählungen, die Wien zum Schauplatz haben. Nur zwei davon, die je ein anderes Einzelschicksal aus der Zeit des ‘Anschlusses’ zum Inhalt haben, konnten damals herausgegeben werden, weil für ein umfangreicheres Buch kein Geld mehr vorhanden war. Dieses kleine Büchlein […] liegt hiermit erstmalig in deutscher Übersetzung vor.

RTB 105 – Wilhelm von Gloeden. Photographie als Beschwörung

Wilhelm von Gloeden (1856–1931) war um die Jahrhundertwende ein international anerkannter Photograph hauptsächlich männlicher Akte. Nach dem Ersten mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg geriet sein Werk vollends in Vergessenheit.
Dieser Aufsatz war zuerst Bestandteil eines Ausstellungskataloges zur Jahrhundertausstellung «Otto Meyer-Amden / Wilhelm von Gloeden / Elisàr von Kupffer» in der Kunsthalle Basel. 15. Juli bis 9. September 1979. Ekkehard Hieronimus (1926–1998) hat diesen Beitrag leicht überarbeitet und mit einem Untertitel versehen. Die 2. Auflage erschien anlässlich seines 20. Todestages.

Das sexualfeindliche Christentum hatte sich mit brutaler Gewalt von den freizügigen antiken Plastiken befreit. Was nicht zerstört wurde, bekam das Stigma des Feigenblattes. «Der Eifer der Kirchenväter hat den Stern nicht vom Himmel nehmen können. Immer wieder haben Bildhauer den Leib göttlicher Form nachzubilden versucht.» (Hans Henny Jahnn) Doch war der Künstler bis ins 19. Jahrhundert hinein mit der Einkleidung des Aktes in mythologische und allegorische Szenen nicht unbedingt auf der sicheren Seite. Ein Beispiel hierfür ist die systematische Übermalung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle.
Caravaggio holte sich die Modelle von der Straße, wobei er sehr wohl wusste, welche antiken Skulpturen es gab. Die vielfach homoerotische Aussage seiner Bilder erschließt sich allerdings erst dann, wenn man die Modelle, gewissermaßen mit dem Auge, aus der Camouflage herauslöst. Formal knüpft Wilhelm von Gloeden an diese Tradition an, nämlich «das alte klassische Leben im Bilde wiedererstehen zu lassen.» Taormina mit seinem halbverfallenen, imposanten griechischen Theater schien ihm dazu der geeignete Ort.
Seine «Kunstwerke mit der Fotografie» zeichnen sich sowohl durch antikisierende Requisiten (wobei mitunter bestimmte Gemälde von Caravaggio, Flandrian, Böcklin u. a. zitiert werden) als auch durch Modelle aus, die «Bauern, Hirten und Fischer» waren: «Lange vertraut musste ich erst mit ihnen werden, um sie später in der Natur, in leichten Gewändern, beobachten zu können, Auswahl zu treffen und sie geistig anzuregen durch Erzählungen
aus Homers Sagen.» (Wilhelm von Gloeden) Die zu seiner Zeit noch ungewöhnlichen und recht umständlichen «Freilicht-Aufnahmen» waren dazu unumgänglich: «Bei der Fotografie ist das schnelle Ausnutzen des günstigen
Moments von großer Wichtigkeit: obgleich ich Moment-Aufnahmen nie gemacht, so lernten es meine Modelle doch, in einer von ihnen willkürlich angenommenen Stellung auf einen Wink von mir fest zu verharren. So erreichte ich es, dass die Absicht nicht zu erkennbar störend ins Auge fällt und blieb möglichst frei von Pose.» Es ist in der Tat das Zufällige, das trotz aller scheinbaren Inszenierung besticht. Das Punctum, wie es Roland Barthes nannte, das «winzige Fünkchen Zufall», «mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt hat». (Walter Benjamin) Die Stempel auf der Rückseite der Fotografien mit der Bezeichnung «proprietà artistica» zeugen von diesem selbstbewussten Künstlertum. Es zeugt jedenfalls nicht von Sachverstand zu behaupten, dass Gloeden «für ein reiches Publikum nackte Fischerknaben in pseudoantiken Szenen fotografierte.» (Ernst Osterkamp).

-Bernhard Albers

RTB 106 – Aus den Notizbüchern eines Menschenforschers

Die hier dargebotenen Notizen erscheinen in unter­schiedlichen Gestalten und Verdichtungs­graden: Aphoristische Texte, Aperçus, Einfälle, Maximen, Zitate, Fragmente, Fragen, Miniaturen und Materialien zu größeren Betrachtungen. Sie umkreisen auf ihre Weise ein unerschöpfliches Themenfeld: das menschliche Verhalten. Dadurch stehen sie in einer moralistischen Tradition, in der es darum geht, den Menschen möglichst illusionsfrei und pointiert in all seinen Ab- und Hintergründen zu beschreiben.

LTB 116 – Prosperos Tagebuch

LTB 117 – Gedichte I

Poèmes saturniens / Saturnische Gedichte;
Fêtes galantes / Galante Feste;
La bonne Chanson / Das gütige Lied;
Romances sans paroles / Unsägliche Romanzen;
Sagesse / Weisheit

«Zäsur ist der Herzschlag des dichtenden Geistes und läßt sich nicht nachahmen, wie Wohllaut.»

Heinrich Heine

Vorliegende Übersetzung der Œuvres poétiques von Paul Verlaine nach der klassischen Garnier-Ausgabe von J. Robichez (einzelne Vorabdrucke in Sinn und Form 2017) bildet erstmals den Alexandriner als französisches Versmaß aller Dinge konsequent nach, an dessen Nähe bzw. Ferne die Poetik dieses Dichters («Eloquenz muß man den Hals umdrehen») überhaupt bestimmbar wird. Präzision im Gebrauch von Metren, Reimschemata, Zäsur etc., vor allem aber der Gebrauch von geprägten Formen sind Rückgriffe auf die altfranzösische Musiktradition: Verlaine komponierte Gedichtbände wie Suiten mit Tanzsätzen und verwies noch 1889 im Vorwort zu Parallèlement auf «die besondere Tonart des vorliegenden Teils einer gesamten Folge.» Diese Musikalität analysierte der Übersetzer 2009 in Germanisch-Romanische Monatsschrift. Sie revolutionierte die Dichtung der Moderne, nicht zuletzt bei der Erschließung christlicher Mystik. Die Übersetzung erstrebt einen möglichst schlichten Satzbau und natürlichen Sprachduktus nach Maßgabe des Originals.

lyrikgesellschaft.de veröffentlichte am 1. August 2018 unter dem Titel «Und ich entschwinde / Im bösen Winde …» eine Rezension von Michel Ackermann.

RTB 108 – Septembernovelle

Arnold Bronnen (1895 in Wien geboren und 1959 in Berlin gestorben) war mit seinem Stück Vatermord, das 1920 als Buch erschien und 1922 in Frankfurt uraufgeführt wurde, einer der erfolgreichsten deutschen Dramatiker nach dem Ersten Weltkrieg.

Das Stück spielt im Proletariermilieu mit eindringlicher Sprach­gestik. Der tyrannische Vater begehrt den jungen schönen Sohn, der sich wiederum zum Mord durch seine Mutter verführen läßt. Den Vatermord selbst erlebt er als Orgasmus: Eine Zumutung nach dem Ende des prüden Wilheminismus. Die Aufführung des Stückes an verschiedenen Bühnen rief Proteste hervor, die meist in Hand­greiflichkeiten endeten.

Wir wollen die Biografie der unablässigen Wandlung des Autors nicht weiter verfolgen: Seine Nähe zu Brecht bis 1926 oder zu Joseph Goebbels, dessen Geliebte er 1930 heiratete und bis zu ihrem Freitod 1935 eine Ménage à trois führte. Schon 1930 hatte er mit den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger und etwa dreißig SA-Leuten einen Vortrag Thomas Manns im Berliner Beethoven-Saal gestört, der vor den Gefahren des aufkommenden National­sozialismus warnte.

Bronnens «Gelöbnis treuester Gefolgschaft» für Hitler erfolgte im Oktober 1933. Dennoch wurde er 1937 aus der Reichsschrifttums­kammer ausgeschlossen und erhielt 1943 Publikationsverbot. Er ging in den kommunistischen Widerstand. Offensichtlich hatte er früher, so Carl Zuckmayer, «als dafür noch ein Markt war, zu viel Brunst geschrieben. Zu viel Mutterbeschlafung, zu viel Exzesse. Die Nazis konnten einen Mann mit solch entarteter Vergangenheit ihrem Spießbürgertum nicht zumuten.»

Zwar trennten Thomas Mann und Arnold Bronnen politisch Welten, doch haben sie in ihrer Literatur einen überdeutlichen Berührungs­punkt. Beide schrieben eine Novelle bestimmten Inhalts. Thomas Mann bezeichnete den Tod in Venedig als «Tragödie der Entwürdi­gung». Arnold Bronnen spricht in der Septembernovelle von einem «Gift», das «das Leben zerbricht». Gemeint ist das zu Literatur gewordene homosexuelle Begehren eines situierten Mannes, welches auf einen schönen Jüngling gerichtet schließlich in den Untergang führt. Im Grunde ist es, so Thomas Mann, «die alte, gute Geschichte: Werther erschoss sich, aber Goethe blieb am Leben.»

Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer äußerte einmal nach dem Krieg Brecht gegenüber, dass die frühe Erzählung Septembernovelle doch «wirklich schlecht» sei. «Brecht sah mich strafend an und erwiderte: ‹Das ist ganz große Prosa!›» (Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf, Band 2, Frankfurt/Main 1984)

Bernhard Albers

LTB 118 – Sprung auf die Straße

Winterlied

Es schneit, es schneit! /
Der Schnee weht weit /
und legt sich lang. /
Im Flockenschwang, /
im Schlittenklang /
verschwingt der Drang, /
verklingt das Leid. /

Weiß wird die Zeit, /
der Überschwang /
Verschwiegenheit. /
Der Lärm, das Leid /
ist schnell beschneit, /
der Schnee, der Schnee /
verweht das Weh.