LTB 123 – Der Mann zwischen Fenster und Spiegel

Der Föhn

Der Föhn hat die letzten Fetzen /
Sommers aus Süden gebracht, /
im Tag, dem entsetzten, setzen /
fest sie sich, faulige Fracht. /
Das Welklaub will frisch auf die Bäume. /
Wir treiben in trägere Träume.

Wir ängstigen uns vor der Schwüle, /
die schwärt mit schimmligem Schimmer. /
Wir schließen die Fenster, die Zimmer /
und küssen die Kühle.

LTB 124 – Granitene Strophen will ich erbauen Obelisken voll knirschender Wut

Präludium

[…]

Granitene Strophen will ich erbauen, /
Obelisken voll knirschender Wut, /
in sie den Schrei der Fabriken einhauen /
und röchelndes Atmen und hungriges Schauen /
und Händeringen, Tränen und Blut! /

[…]

Kristallener Hymne donnere ich dann: werde /
Sturmbock gegen die Fron! /
Reck’ dich gewaltig mit Riesengebärde, /
entfache Vulkane, entzünde die Erde! /
sei Brandpsalm der Revolution! /

RTB 111 – Der Junge, der Asta Nielsen sah

Weltuntergänge

Auf und nieder auf und nieder /
Wunder gibt es immer wieder /

Wir wären alle schön verrückt /
Wenn uns der Untergang nicht glückt /

Was sagt uns der Prophet? /
Wenn die Welt schon untergeht /
Kommt alle Buß und Reu zu spät

Inhalt:

Vorwort

Sintflut im Zeitraffer:
«Das Jüngste Gericht» von Jacopo Tintoretto
Essay

Der Weltuntergang findet nicht statt:
Hörstück

Gedenkbuch für die Opfer der Shoah aus Aachen

Liebe Kinder

Bin abgereist. /
Seid ohne Sorge, wenn ich nicht schreibe. /
Hoffe auf gesundes Wiedersehen. /
Grüßt Ernst, Lotte u. Kinder. /

Eure Mutter

Aus dem Vorwort:

Mit diesem Buch gedenken wir der 2.000 jüdischen Aachener Bürgerinnen und Bürger, die zwischen der «Machtergreifung» am 30. Januar 1933 und dem Ende der nationalsozialistischen Schreckens­herrschaft in der Synagogengemeinde Aachen durch das Naziregime aus «rassischen Gründen» verfolgt wurden. Das Schicksal dieser 2.000 Menschen versuchen wir zu klären.

Das Ziel der Nationalsozialisten war es, diese Menschen zu vernichten.

Dagegen setzen wir die Lebensgeschichten und die Namen der Ermordeten.

Das Ziel des Gedenkbuchprojektes für die Opfer der Shoah aus Aachen e.V. ist es, an diese Menschen zu erinnern und die Namen und Geschichten der ermordeten Aachenerinnen und Aachener in den Mittelpunkt des Gedenkens zu stellen.

Bisher wissen wir von 841 Aachenerinnen und Aachenern, dass sie ermordet wurden, 150 Personen starben in der Zeit von 1933 bis 1945 eines natürlichen Todes, 563 Menschen überlebten durch Flucht und Emigration die Shoah. Das Schicksal von 446 Verfolgten konnten wir bisher noch nicht klären. Der unabgeschlossene Charakter dieses Gedenkbuchs bleibt also weiterhin bestehen.

Das «Gedenkbuch für die Opfer der Shoah aus Aachen» besteht aus zwei Teilen.

Im ersten Teil lesen Sie Biographien zu 174 ermordeten Personen und 102 ihrer Familienangehörigen. Mit den Biographien dieses Bandes wird vom Leben der Menschen in der Region, von Nachbarn und Kollegen, von Mitschülern und Freunden berichtet. Sie waren in erster Linie Aachener, waren Deutsche.

Im zweiten Teil des Gedenkbuchs werden die Namen, Vornamen und Geburtsdaten aller uns bisher bekannten 841 ermordeten Aachenerinnen und Aachener, deren Deportationsweg, Todesdatum und der Ort ihrer Ermordung aufgeführt.

Bettina Offergeld, Hannelore Herpertz, Corinna Broeckmann

WDR Lokalzeit Aachen berichtete am 25. Januar 2019 über die Übergabe des Gedenkbuchs an den Oberbürgermeister der Stadt Aachen

WDR Lokalzeit Aachen berichtete am 13. März 2019 unter der Überschrift «Buch erinnert an ermordete Juden in Aachen» über Gedenkbuch, Gedenkbuch­projekt und Überreichung des Gedenkbuchs an Hinterbliebene der Opfer

RTB 115 – Wolfgang Koeppen in Salt Lake City

In drei Kapiteln widmet sich der vorliegende Band Wolfgang Koeppens Begegnung mit Salt Lake City. Im einleitenden Essay nähert sich Christoph Leisten zunächst dem Leben und dem Werk Koeppens, um dann den Entstehungsprozess sowie zentrale Motive der „Amerikafahrt“ zu skizzieren und schließlich seine eigene, persönliche Tuchfühlung mit dem Autor in den Blick zu nehmen. Das zweite, zentrale Kapitel ist Wolfgang Koeppens Original-Text über Salt Lake City aus „Amerikafahrt“, der uns freundlicherweise vom Suhrkamp Verlag für diese Ausgabe überlassen wurde, vorbehalten. Im dritten Teil beschäftigt sich Reinhard Kiefer eingehend mit Koeppens Text und mit der darin dargestellten Kultur der Mormonen. Dabei werden Ursprung und Geschichte des Mormonentums intensiv beleuchtet und die kultur-, literatur- und religionsgeschichtlichen Hintergründe deutlich gemacht.

Inhalt:


Vorbemerkung – Bernhard Albers


Annäherung an Wolfgang Koeppen – Christoph Leisten


Salt Lake City – Wolfgang Koeppen


Mormonische Skizzen – Reinhard Kiefer

Das einundsiebzigste Jahr

Heinrich Maria ist einundsiebzig Jahre alt, oh mein Gott! Wollte er nicht Tiermissionar werden? Und jetzt lebt er tatsächlich mit seinen schäbigen Tieren auf einem abgewrackten Flugplatz und unternimmt kleine, grausame Ausflüge. Aber nicht in die Abtei Münsterschwarzach, bitte nicht!

Eben noch im elften Jahr ist Heinrich Maria im einundsiebzigsten Jahr gelandet und auch auf einem ehemaligen Flugplatz. Alex und seine Mutter, die Tierärztin sind bereits auf dem Weg zu Heinrich Maria und den Tieren, ein frisch gebackener Grüßgottkuchen steht auf dem Tisch. Der Schnee ist zwar schon wieder schwarz, nicht aber die Zeit der Erinnerung. Kleine Ausflüge, eine Reise nach Israel, eine Reise nach Rom. Erstaunlicherweise gibt es eine religiöse Hintergrundstrahlung, doch Richie der Gewitterhund warnt vor jeder Art von Unwetter und sei es im Augenblick noch so weit entfernt.

Agadir im Tagebuch. Ernst Jünger und Reinhard Kiefer

«Subtile Jagden» – das Studium der Insekten – gehören zu den «Genüssen» Ernst Jüngers, «die mit dem Alter zunehmen», und die ihn auch nach Agadir führten. Bei Reinhard Kiefer wird Agadir zum vertrauten Ort poetologischer Selbstreflexion. Sein marokkanisches Tagebuch «Die goldene Düne» (1983–2013) setzt im Dezember ein, wobei ich für den Abdruck das erste Jahrzehnt auswähle. Die «goldene Düne» war das Wahrzeichen Agadirs und der Ort «subtiler Jagden» Ernst Jüngers. Wie so vieles im menschlichen Leben gehört die «goldene Düne» längst der Vergangenheit an.

LTB 121 – Poesies. Gedichte

Das ist die Freude

Das ist die Freude – ein Vogel sein und einen Himmel /

durchkreuzen, wo der Sturm leuchtenden Frieden hinterließ.

Und das der Tod – die Augen schließen, lauschen /

der Stille des Moments, in welchem die Musik beginnt.

Der frühverstorbene katalanische Lyriker Màrius Torres (1910–1942) wandte sich in seinen Gedichten von der trostlosen Realität des Spanischen Bürgerkriegs, der frühen Franco-Diktatur und seines eigenen, von Krankheit geprägten Alltags entschieden ab. Sein am Symbolismus orientiertes Werk zeichnet sich durch hohe Musikalität aus und setzt sich auf sehr eigene, zugleich unmittelbare und abstrakte Art mit Tod und Kosmos auseinander. Nach dem Krieg beinahe vergessen, wurde Torres in den 1960er und 1970er Jahren neu entdeckt und zählt heute zu den Klassikern der katalanischen Lyrik des 20. Jahrhunderts.

“Wie Novalis (oder vor ihm William Blake und viele andere) träumte auch Torres von jener Stadt, die Schutz bedeutet, die einige real aufbauen wollten oder nach der Apokalypse am Himmel wie auf Erden erwarteten, wobei andere sich mit einem Bild von ihr als Idee zufrieden gaben, als Utopie. Und auch Torres träumte immer noch, bei einer bestimmten Musik, einer bestimmten Luft, bei einem Anflug von Erinnerung, träumte, ohne vergessen zu können, von jener fernen Stadt, die an dieses Neue Jerusalem erinnert, die er eine Stadt der Ideale nennt, die einzustürzen droht, weil die Kräfte der Furien sie verschütten.”

-Kristian Kühn im Signaturen-Magazin

Die vollständige Rezension können Sie hier lesen.

Azra und Kosmás

Kosmás Groß, ein Schriftsteller mit beträchtlichem Bekanntheitsgrad und ebenso großer Öffentlichkeits­scheu, verunfallt in einer Frost­nacht in Berlin. Er zieht sich nach Lesbos zurück, wo sein Großvater mütterlicherseits sein Haus hatte und wo er schon als Kind öfter den Sommer verbrachte. Er frönt zunächst seiner großen Leidenschaft, dem Backgammon, und nimmt, mit den Schicksalen der in Nuss­schalen über die Ägäis Geflüchteten konfrontiert, den Schleppern beim Backgammon das Geld ab, um es den Geflüchteten zurück­zugeben. Dabei lichtet ihn ein Wärter ab – und er fliegt vor der Weltöffentlichkeit auf.

Azra, Berliner Ärztin und freiwillige Helferin auf Lesbos, ist von Anfang an präsent; sie folgt dem flüchtigen Kosmás mit dem Schlauchboot auf die nächste Insel. Ihre neuerliche Begegnung wird von einem fürchterlichen Ereignis überschattet, das über die Menschen dort hereinbricht.

Perikles Monioudis erzählt in hohem Tempo die schicksalhafte Begegnung von Azra und Kosmás in der Ägäis, vom Sog des illegalen Backgammonspiels, von Flüchtlingsbooten, spielsüchtigen Schleppern und einer unerwarteten Katastrophe, die über alle dort hereinbricht.

“Der kann wirklich schreiben, der kann schauen, der kann denken.” – Raoul Schrott im Literaturclub des Schweizer Fernsehens über Perikles Monioudis.