LTB 017 – Der Regenbogen

Des Geliebten Nächte zu entzünden, /
will ich augenspendend süß erblinden. /

Des Geliebten Atem zu umkosen, /
wandelt sich mein Blut in tausend Rosen. /

Des Geliebten Liebe zu erhalten, /
möcht’ ich mich in tausend Frauen spalten, /

daß er tausendfach nur mich begehre, /
alle liebend nur mir angehöre! /

Rose Ausländer starb am 3. Januar 1988, berühmt, geehrt und von ihren Leserinnen und Lesern geliebt im Nelly-Sachs-Haus und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Düsseldorf beerdigt.

Jungfrau und Reptil

Am 20. Juni 1955 lernt Dorothea Zeemann den 58-jährigen Autor Heimito Doderer anläßlich einer Lesung von Robert Neumann in Wien kennen. Der Altersunterschied beträgt nur dreizehn Jahre und er macht ihr später Vorwürfe, sie nicht früher kennengelernt zu haben. Erst drei Jahre zuvor hatte er Maria Thoma geheiratet, die weitab von Wien in Landshut wohnt.

«Doderer befindet sich, trotz Ruhm und Erfolg, im Abseits.» (Dorothea Zeemann)

RTB 075 – Der letzte Diktator

Die vorliegende Tragödie Der letzte Diktator ist Alfred Gongs dramatischer Versuch, sich mit den letzten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und mit der Person Adolf Hitlers auseinanderzusetzen. Obwohl Gong weder den Diktator noch den Schauplatz des Geschehens beim Namen nennt und den auftretenden Ministern und Generalen fiktive Namen gibt, ist der historische Bezug doch offensichtlich, nicht zuletzt dadurch, dass Gong selbst der Tragödie voranstellt, sie liege in der Originalfassung aus dem Winter 1944/45 vor und sei nicht im Nachhinein den tatsächlichen Begebenheiten angepasst worden. Es lässt sich natürlich nicht ausschließen, dass Gong dennoch der Tragödie nach Kriegsende einige Details hinzugefügt hat, die ihm zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht bekannt gewesen sein können. Besonders einige Einblicke in die Persönlichkeit Hitlers und seine Beziehung zu seinen Generalen legen eine Überarbeitung im Nachhinein nahe. Andere Aspekte, nicht zuletzt das Ende der Tragödie, deuten darauf hin, dass Gong tatsächlich nicht der Versuchung erlegen ist, sein Werk im Hinblick auf die geschichtlichen Tatsachen zu verändern.

Nach Gongs eigener Aussage entstand die Idee zu der Tragödie im Herbst 1942. Im Juni dieses Jahres hatte die deutsche Wehrmacht ihre zweite Offensive in Russland begonnen und befand sich immer noch auf dem Höhepunkt ihrer militärischen Macht. Es gelang ihr, weit in den Kaukasus vorzudringen, und erst bei Stalingrad wurde ihr Vorstoß zur Wolga aufgehalten. Zwar schaffte es die Wehrmacht, den größten Teil der Stadt einzunehmen, jedoch leistete die Rote Armee erbitterten Widerstand, und gegen Ende November 1942 befand sich die Wehrmacht in der Defensive. Gong, Sohn einer jüdischen Familie aus Czernowitz in der Bukowina, lebte zu dieser Zeit auf der Flucht vor den Nazis unter falschem Namen in Bukarest – als «U-Boot,» wie er sein Dasein in seinem Gedicht «Bukarest, Juli ’44» beschreibt. Unter welchen Umständen er aber die Arbeit zu seinem Drama begonnen hat und inwiefern er über die Geschehnisse in Stalingrad unterrichtet war, ist nicht bekannt.

LTB 077 – Glykon

Alter Friedhof im Osten

Ein Grab zu finden /
ist aussichtslos hier: /
Holunder, Pappeln, Brombeergestrüpp /
und endlos fällt Regen. /

Nasse Blätter bedecken die Schrift, /
die Hand die freilegen will /
wird von Dornen geritzt /

Hirsch und Löwe bröckeln im Stein, /
Holunder blüht weiß /
vom Himmel /
fallen die Wasser der Welt

fixpoetry veröffentlichte am 25. Juli 2016 unter dem Titel «auf risse/ komme es an» eine Rezension von Martin A. Hainz.

RTB 076 – Die Weise von Liebe und Tod

Vielleicht sitzen da nur zwei altsprachlich Gebildete aus verschiedenen Generationen, die die ars amandi nicht zu leben, aber zu skandieren wissen …

«der gescheiterte Versuch eines depressiven alternden Schriftstellers, einen jugendlichen Sekretär in seine Dienste zu nehmen»

Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur

LTB 078 – Der Prinz der jiddischen Ballade

Der Mönch

Der Weg funkelt silbrig und messergleich /
Gräbt er sich tief in die Ebene ein. /
Luftspiegelungen. Der Mondenschein. /
Und ein finsterer Mönch durchschreitet dies Reich. /

Der Frühling, das Kind, die Wiese, der Teich, /
Lächeln, berauscht von Duft wie von Wein: /
«Tritt in den Bannkreis der Veilchen hinein!» /
Aber der Mönch schreitet hager und bleich. /

Näher und nah, einen Dolch in der Hand … /
Ein Blitz! – blaues Lenzblut bespritzt sein Gewand! /
Entsetzt fliehen Kind und Teich übers Feld … /

«Dein Blendwerk, o Luzifer, ist nun verweht!» /
Er kniet und bekreuzt sich, und vor ihm ersteht /
Die andre, ersehnte, die ewige Welt!

Niemand weiß genau zu sagen, wer den Ehrentitel «Prinz der jiddischen Ballade» für Itzik Manger erfunden hat und niemand weiß, wann er das erste Mal so genannt wurde. Selten aber wurde ein solcher Ehrentitel mit mehr Berechtigung verliehen als für den jiddischen Dichter, dessen geschliffen funkelnde Lyrik den Leser fasziniert und beglückt.

RTB 077 – «Der Tod ein deutscher Meister»

In seinen frühen Gedichten erprobt Immanuel Weißglas poetische Antworten auf das erlebte Grauen, die gerade in der Überanstrengung, in der Transformation und schließlich im Zerbrechen einer zum letzten Mal aufgerufenen Dichtungstradition ihr spannungsvolles Pathos gewinnt. Die vorliegende Studie plädiert für eine neue Lektüre und eine neue Bewertung dieser Texte.

Heinrich Detering ist Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen und Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er veröffentlichte eine Reihe von literaturwissenschaftlichen Studien (u. a. Bertolt Brecht und Laotse, 2008, das Nietzsche-Buch Der Antichrist und der Gekreuzigte, 2010, Thomas Manns amerikanische Religion, 2012) und Gedichtbände (zuletzt Old Glory, 2012). Er erhielt zahlreiche wissenschaftliche und literarische Auszeichnungen, darunter den Leibniz-Preis (2009) und den Andersen-Preis (2012).

LTB 081 – Echnaton. Der Sonnengesang

Du erscheinst schön im Horizont des Himmels, /
du lebender Sonnengott, der Anfang des Lebens! /
Wenn Du aufgeleuchtet im Osten /
erfüllst du jedes Land mit deiner Schönheit. /
Du bist schön und groß, glänzend und hoch über allem Land. /
Deine Strahlen umarmen die Länder, und alles, was du erschaffen hast

Zum ersten Mal in der Geschichte ändert ein Pharao seinen Geburtsnamen in Echnaton, «einer, der wirksam ist für Aton» und übernimmt die persönliche Verantwortung inform von Richtlinien für ein Gesamtkunstwerk.
Große Teile des Gesamtkunstwerks Echnatons sind nach über dreitausend Jahren wie durch ein Wunder, von Naturgewalten unbeschadet, strahlend wieder auferstanden. Herrlich erhalten in den Pylonen Karnaks, im Sand von Amarna und im Grab Tutanchamuns. Wieder ist ein Versteck der Alten Welt entzaubert.
Was wir dagegen hinterlassen, hat keinen ästhetischen Wert. Die Entdeckung unserer Verstecke wird den Ungeborenen apokalyptische Todesqualen bereiten.

LTB 082 – Englischsprachige Lyrik aus vier Jahrhunderten Teil I

Was es braucht für eine Prärie

Es braucht für eine Prärie nur Klee und eine Biene,


Etwas Klee und eine Biene,


Und Träumerei.


Träumerei allein wird genügen,


Wenn keine Bienen fliegen.

Emily Dickinson

Englische Lyrik: Andrew Marvell (1621–1678), John Donne (1572–1631), George Herbert (1593–1633), George Etherege (1635–1691), William Blake (1757–1827), Thomas Moore (1779–1852), John Keats (1795–1821), Robert Browning (1812–1889), Dante Gabriel Rossetti (1828–1882), Thomas Hardy (1840–1928), Thomas Hood (1799–1845), William Henry Davies (1871–1940), Emily Dickinson (1830–1886), May Theilgaard Watts (1893–1975), Christopher Brennan (1870–1932), Bryan Guinness (1905–1992), Babette Deutsch (1895–1982), Sylvia Kantaris (geb. 1936),
Elizabeth Jennings (1926–2001), Lorma Leigh, Edna St. Vincent Millay (1892–1950), John Betjeman (1906–1984), Siegfried Sassoon (1886–1967), Mary E. Harrison (geb. 1921), George Barker (1913–1991), Constance M. M. Scott, Frances Mayo, Philip Larkin (1922–1985)

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Die zweisprachige Anthologie in drei Teilen ist das Ergebnis einer langjährigen intensiven Beschäftigung mit englischsprachiger Lyrik. Auch hier stand Pate die Idee, authentisches Wissen über das Wesen unserer Nachbarn aus dem reichhaltigen Fundus der Lyrik von vier verflossenen Jahrhunderten anzusammeln.

HAH Bd. 15 – Coda I / Coda II