LTB 099 – Gottes Mühlen in Berlin

Die vorliegende Ausgabe nimmt sich vor, das Buchprojekt mit dem Titel Gottes Mühlen in Berlin von Immanuel Weissglas zu rekonstruieren, das 1947 von der Publikation in Bukarest aus unklaren Gründen – sei es politischer, sei es ökonomischer Natur – gestoppt wurde und nie mehr in der geplanten Gestaltung erschien. Daraus wurden im Laufe der Zeit nur einzelne Gedichte zur Veröffentlichung ausgewählt; Weissglas selbst hat zahlreiche Texte zu neuen Fassungen überarbeitet und diese in den Gedichtband Der Nobiskrug (1972) übernommen.

Totenreigen

Hörst du, im fremden Land, den Totenreigen, /
Der wild zu Erden zieht den letzten Leib? /
Die schwarzen Himmel hängen voller Geigen /
Und jede Wolke ist ein Klageweib.

Die Sterbegeigen haben ihre Grillen, /
Wir zupfen unsre Gräber in die Luft. /
Das Bahrtuch ist die Nacht, dich zu verhüllen, /
Der Mond ein Schädel und der Wind die Gruft.

Hier ist das Grab nicht tief, der Staub gemeiner, /
Und welk das Laub, das deine Locke barg. /
Der Tod ist, wie der Herbst, ein ernster Schreiner: /
Was seiner Hand gerät, ist stets ein Sarg.

Und was ich greife, sind zum Tanz die Saiten, /
Der uns von Lebenden im Taumel schied: /
Dass wir jetzt süss im Arm des Todes gleiten, /
Zur Lieb im Herzen und im Schritt zum Lied.

LTB 100 – Die Welt kennt keine Poesie

100 Gedichte von 100 Autoren

Nil-Sein

Im Lande Licht, im Lande Leer,


Einödegebunden,


Liegen sie verstreut umher,


Die Sterne, die Stunden.

Cheopsfriede,


Nilblaues Sein,


Zeitpyramide


Aus Sonne und Stein.

Immanuel Weißglas

Hundert Autoren werden jeweils mit einem Gedicht vorgestellt, soweit es im Rimbaud Verlag – dessen Programm von mir nun schon 35 Jahre lang gestaltet wird – erschienen ist. Zugleich eröffnet sich mit den zahlreichen Übersetzungen so etwas wie ein bescheidener Blick auf die Weltliteratur.

Die Gedichte wurden nicht mühsam und mit viel Überlegung zusammengestellt, sondern ganz spontan und rein chronologisch. Kein Gedicht musste verworfen werden, weil sich alle, meines Erachtens, auf wunderbare Weise zu einem Mosaik zusammenfügten.

Von einigen Autoren, das sei hier einmal gesagt, war es mir nicht vergönnt, eine Auswahl ihrer Gedichte im Rimbaud Verlag herauszubringen. So von Gottfried Benn, Wilhelm Lehmann, Paul Celan und Nelly Sachs beispielsweise.

RTB 089 – Doktor Alzheimer bittet zu Tisch

Im Jahr 2015 jährt sich zum 100. Mal der Tod Alois Alzheimers, des Entdeckers der nach ihm benannten Demenzerkrankung.

Die Beschäftigung mit dem Gehirn, mit dem Denken, mit dem Wissen und mit den Abgründen der Gehirnkrankheiten nimmt ständig zu. Was ist da oben alles in unserem Denkstübchen los! Die Wissenschaft forscht. Unser Gehirn ist zum Glück oder zum Unglück aber immer noch eine Terra incognita. Und was wird ihm alles zugemutet in unserem Beschleunigungs­wahnsinn! Konstruktionen. Destruktionen. Was sollen wir denn noch alles speichern. Was türmt sich da alles auf in löchrigen Wänden, die bis ins Weltall reichen. Wieviel Sicherungen sind schon durchgebrannt? Alles sehr dramatisch. Gefahren und Überforderungen. Da nützen alle Suchmaschinen nichts.
Das Gehirn ist weiter weg als die Sterne.

Inhalt:

Einleitung
Wo mein Kopf ist weiß ich nicht (Gedicht)

Doktor Alzheimer bittet zu Tisch

Die Fernsehphilosophin

Eine Skulptur ist auch nur ein Mensch

Friedas Schmetterlinge

Dornröschenschlaf

Nachwort

LTB 094 – Englischsprachige Lyrik aus vier Jahrhunderten Teil III

Hymne für die dem Tod geweihte Jugend

Welch Sterbegeläut für die, die sterben wie das Vieh?


Nur das riesige Wüten der Kanonen.


Nur ratterndes Rasen stotternder Gewehre


Kann hinausprasseln ihre hastigen Gebete.


Nichts mehr höhnt ihnen, nicht Beten oder Läuten,


Noch irgendein Trauergesang, nur die Chöre, –


Die irren, schrillen Chöre heulender Granaten;


Und Hörner rufen nach ihnen aus trauriger Heimat.

Wilfred Owen

Englische Lyrik: Edmund Waller (1606–1687), George Herbert (1593–1633), Percy Bysshe Shelley (1792–1822), Elizabeth Barrett Browning (1806–1861), Christina Georgina Rossetti (1830–1894), Mary Gilmore (1865–1962), Thomas Hardy (1840–1928), William Henry Davies (1871–1940), Lorma Leigh (verfasst um 1910), Alfred Noyes (1880–1958), William Butler Yeats (1865–1939), Edna St. Vincent Millay (1892–1950), Margaret Widdemer (1884–1978), Wilfred Owen (1893–1918), Siegfried Sassoon (1886–1967), Rupert Brooke (1887–1915), May Herschel-Clarke (verfasst 1915), Charles H. Sorley (1895–1915), John Gillespie Magee (1922–1941), John Betjeman (1906–1984), Ella Wheeler Wilcox (1850–1919), Fleur Adcock (geboren 1934), Sylvia Kantaris (geboren 1936), Elizabeth Jennings (1926–2001), Erica Jong (geboren 1942), Laurence Lerner (geboren 1925), Harold Monro (1879–1932), Christopher Brennan (1870–1932)

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Die zweisprachige Anthologie in drei Teilen ist das Ergebnis einer langjährigen intensiven Beschäftigung mit englischsprachiger Lyrik. Auch hier stand Pate die Idee, authentisches Wissen über das Wesen unserer Nachbarn aus dem reichhaltigen Fundus der Lyrik von vier verflossenen Jahrhunderten anzusammeln.

LTB 095 – An die Wand gemalt

Wenn der letzte Morgen kommt

Wenn der letzte Morgen kommt, /
hat sein Abend andere Sterne, /
und zur Nähe wird die Ferne, /
wenn der letzte Abend kommt.

Wenn der letzte Abend naht, /
gehst du in den ersten Morgen. /
Dir erschließt sich, was verborgen, /
wenn der erste Morgen naht.

Von dem Ganzen Teil zu werden, /
fordert dich die Ewigkeit. /
Sei ergriffen und bereit, /
von dem Ganzen Teil zu werden.

Abend, Morgen werden eins, /
alle Zeit ist aufgehoben. /
Nur noch Rühmen, nur noch Loben, /
werden Morgen, Abend eins.

LTB 096 – Jahreszeiten

Sommerlicher Garten

Grüne Wildnis, hinter dem Zaun zu schauen: /
Blätterschatten und Wipfelneigen, /
Und der Laube Geheimnis, bienenumbraust, /
Herbergende /
Zelle der Liebe, /
Und neben dem Kiesweg, das Beet, /
Wo das Blumenvolk haust, /
Und über dem Wasserfaß steht /
Wie aus Gold die Libelle – /
Ach, daß es so sommerlich bliebe!

LTB 097 – Gedichte

Sprich nicht immer


Von dem laub,


Windes raub,


Vom zerschellen


Reifer quitten,


Von den tritten


Der vernichter


Spät im jahr.


Von dem zittern


Der libellen


In gewittern


Und der lichter


Deren flimmer


Wandelbar.

«Durch Anmerkungen in Gedichtbänden sucht, findet und markiert man seine Lieblinge», notiert der Autor Norbert Hummelt. Johannes Bobrowski und Alfred Kittner beispielsweise gingen einen Schritt weiter: Sie stellten für den privaten Gebrauch handschriftliche Anthologien mit Lieblingsgedichten aus verschiedenen Epochen zusammen.

Die vorliegende «Gebrauchsauswahl» konzentriert sich dagegen ganz auf das Werk Stefan Georges und zwar chronologisch. Die Gedichte selbst sind von unbekannter Hand in feiner Tusche mit den bei George typischen Buchstaben abgeschrieben. Dieses schlicht gebundene Buch, mit gutem Papier, macht durchaus den Eindruck eines Poesiealbums. Gewidmet und datiert ist es für einen Freund, von dem wir nur den Vornamen erfahren.

LTB 098 – Winkel am Wald

Winkel am Wald

An Karl Minnich

Braune Kastanien. Leise gleiten die alten Leute /
In stilleren Abend; weich verwelken schöne Blätter. /
Am Friedhof scherzt die Amsel mit dem toten Vetter, /
Angelen gibt der blonde Lehrer das Geleite.

Des Todes reine Bilder schaun von Kirchenfenstern; /
Doch wirkt ein blutiger Grund sehr trauervoll und düster. /
Das Tor blieb heut verschlossen. Den Schlüssel hat der Küster. /
Im Garten spricht die Schwester freundlich mit Gespenstern.

In alten Kellern reift der Wein ins Goldne, Klare. /
Süß duften Äpfel. Freude glänzt nicht allzu ferne. /
Den langen Abend hören Kinder Märchen gerne; /
Auch zeigt sich sanftem Wahnsinn oft das Goldne, Wahre.

Das Blau fließt voll Reseden; in Zimmern Kerzenhelle. /
Bescheiden ist ihre Stätte wohl bereitet. /
Den Saum des Walds hinab ein einsam Schicksal gleitet; /
Die Nacht erscheint, der Ruhe Engel, auf der Schwelle.

Einsame Weihnachten

Gedichte von Rose Ausländer, Hans Bender und Immanuel Weißglas.

Weihnachtsgedichte in deutscher Sprache, geschrieben nach 1945. Texte von drei sehr unterschiedlichen Dichtern sollen zeigen, in welchen Ausdrucksformen das in jener Zeit noch möglich war. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen – aus der Bukowina vertrieben – Rose Ausländer (1901–1988) nach New York und Immanuel Weißglas (1920–1979) nach Bukarest; beide jüdischen Dichter schrieben Weihnachtsgedichte, Rose Ausländer auf Englisch, Weißglas – obwohl er nie in Deutschland gelebt hatte – auf Deutsch. Um dieselbe Zeit verfasste Hans Bender (1919–2015), wenig später Mitbegründer der Zeitschrift «Akzente», ein denkwürdiges Weihnachtsgedicht in sowjetischer Gefangenschaft.

Heinrich Detering

Celan Studien (Neue Folge) 05 – Paul Celans «unbequemes Zuhause»

Inhalt:

Einleitung

Paul Celan Student an der Sorbonne

Paul Celan – vom «Staatenlosen»
zum französischen Staatsbürger

Im französischen Hochschuldienst

Schmuggelware.
Zur «biographischen» Wende in der Celan-Forschung

Zwei Frauen

 

Germanistische Mitteilungen veröffentlicht in Nummer 44.2 (2018) eine Rezension von Jan Roelans