Reinhard Kiefer liest “Warum wir sterben müssen”

Reinhard Kiefer liest aus seinem Buch “Warum wir sterben müssen. Ein Satzbau III”. Christoph Leisten, im Gespräch mit dem Autor, moderiert die Veranstaltung.
Die Lesung wurde am 06.02.2020 aufgezeichnet.

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Reinhard Kiefer wurde 1956 in Nordbögge (Westfalen) geboren und studierte Germanistik und evangelische Theologie. Er ist Herausgeber der ‘Sämtlichen Gedichte’ Ernst Meisters, über welchen er auch promovierte. 1992 erschien von ihm ‘Text ohne Wörter. Die negative Theologie im lyrischen Werk Ernst Meisters’.


“Warum wir sterben mussen” erschien 2019 im Rimbaud Verlag.

Liebesgedichte

Ernst Meister war ein Dichter der letzten Dinge. Ihn beschäftigte der Grund unseres Daseins, und damit auch die Liebe, ein Leben lang. In seinen puritanisch knappen Versen nahm er keine Rücksicht auf Moden. Die Liebesgedichte, die Ernst Meister in über 40 Jahren geschrieben hat, finden sich in diesem Band versammelt. Sarah Kirsch über Ernst Meister: “Seine Gedichte, die natürlich das Gegenteil von Lebenshilfe sind, eher Mutproben, gehen wie schwarze Choräle eines, der versucht an das Unbekannte zu denken, uns durch den Leib. Wir gelangen weiter in ihnen, indem wir ohne Eitelkeit beginnen, und es bedarf schon einer gewissen Demut. . . Einen geringen Trost vermag er ja auch zu geben. ‘Am Ende sagt von Zweien der Eine noch: ich hab dich eingelebt in die Verlassenheit’.”

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LIEBESGEDANKEN

abwärts /
bis ins Tote /
der Geschaffenheit, /
das Mütterorakel /
ratlos.

Lied /
meiner Lieder: /
einzige Gegenwart, /
vom Nichts /
sinnreich ausgespien.

Ziemlich ein Gott, /
die – wörtlich – /
weibliche Leere.

“ICH”

Alles, was dieser eigensinnige Dichter schreibt, sträubt sich eigentlich gegen den Versuch einer ‘Vertonung’. Nicht nur, weil diese Lyrik selbst schon Musik genug ist, um einen etwas abgegriffenen Allgemeinplatz zu bemühen, sondern auch, weil hier knapp und karg mit engmaschiger Wortzeichnung gearbeitet wird, und zwar so dicht, dass für eine akustische Ebene kein Platz zu sein scheint. […] Pierre-Dominique Ponnelle hat aus der “messingstadt” intuitiv das Stück herausgesucht, das in dem Gedichtband durch seine Unmittelbarkeit heraus leuchtet. Dabei glänzen die 18 kurzen Zeilen ganz im Sinne der eingangs beschriebenen Tugenden. Der Dichter entwirft mit einer listig auftretenden Beiläufigkeit eine Phantasie vom verlorenen ICH, so unbekümmert und waghalsig als habe er weiland der Emily Dickinson über die Schulter geschaut.

-Reinhard Ermen, Auszug aus dem Text

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Ich ist ein wesen


das verschwindet

eine attacke


ein dreikampf


wortreiche


satz=


untergänge

und hat vor


jahren schon in


brombeer=


ranken gesteckt

(niemandem


fiels auf)

geriet auf


den zaun


(wie zufällig)


ein schwieriger


platz

Parallelband: Ponnelle. Meine Minsker Jahre

Erich Jansen. “Die Tochter des Glasbild-Fabrikanten”

Adrian Krug und die Rimbaud-Autoren Reinhard Kiefer und Christoph Leisten stellen einen neuen Band mit Gedichten von Erich Jansen vor. “Die Tochter des Glasbild-Fabrikanten“. Es ist ein Buch, das “Wort und Bild vereint”, einen poetischen Blick auf die Stadt Linnich um 1900 wirft. Gedichte und historische Photografien stehen nebeneinander. Im Anschluss an die Lesung fand ein anregendes Gespräch mit dem Publikum statt.

Das Buch wurde im Deutschen Glasmalereimuseum Linnich am 21.11.2021 vorgestellt.

Goethe Studien 03 – Kein Freund des Bestehenden

Aus der Vorbemerkung:

Goethes Kritik der Französischen Revolution und revolutionärer Importe bedeutet nach seinen von Eckermann überlieferten Worten aber nicht, dass man ihn den geistigen Restauratoren der alten Ordnung zurechnen dürfe. Er sei kein „Freund des Bestehenden“ im Sinne von „Freund des Veralteten und Schlechten“. Die folgenden Studien zu Hermann und Dorothea, zur Natürlichen Tochter und zum I. und IV. Akt im zweiten Teil des Faust werden zeigen, dass Goethe in der poetischen Auseinandersetzung mit dem großen Thema seiner Zeit tatsächlich kein Freund des Bestehenden bzw., wie 1830 im Brief an Freund Zelter noch eindeutiger formuliert, des „noch“ Bestehenden ist. Insofern hat der provokative Titel, unter dem die vier Studien, ursprünglich Vorträge vor der Aachener Goethe-Gesellschaft, nun erscheinen, seine Berechtigung.

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Inhalt:

Die beiden Ringe der Dorothea. Revolution und Reaktion in Goethes Herrmann und Dorothea.

Vorrevolutionäre Zustände. Goethes Trauerspiel Die natürliche Tochter.

„Mißgestalt“ und „Ungesetz“. Das Alte Reich in Goethes Faust II, 1. Akt

Kaiser, Gegenkaiser und die romantischen Gespenster. Zu Goethes Faust II, IV. Akt

Ein Hermelin in Tschernopol

Nun war dieser lässige und elegeante Sprachkünstler, der ganz nebenbei seinen beissenden Spott über alles und jeden ausbreiten konnte, in der biederen deutschen Literaturgesellschaft tatsächlich schwer vorstellbar, zumal Gregor von Rezzori, wie sich später herausstellte, in Deutschland eine “Spur der Verwüstung” hinterlassen hatte: Sein Konto für Beleidigungen, Schulden und andere Kavaliersdelikte war heillos überzogen.


Am Ende wusste nicht einmal er selber mehr zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden: “Er liess sich bei Flunkereien ertappen, die tatsächlich darauf zielten, seiner Herkunftsgeschichte einen Glanz zu geben, der schwerlich Glaubwürdigkeit beanspruchen konnte”, hat er später geschrieben.

– Michael Krüger

“Die Klarheit, mit der Herr von Rezzori diese Stumpfheit und Blödheit des unreflektierten Soldaten-Gehorsams im Ersten Weltkrieg durchschaut, hat mich fasziniert. Sie nimmt die furchtbaren Ereignisse des Zweiten Weltkriegs fast prophetisch vorweg, skizziert die späteren, unheilvollen Entwicklungen in einer genialen Weise, so dass es einem unheimlich beim Lesen zumute wird.”

– Korinna Scheidt, Ganze Rezension HIER

Celan Studien (Neue Folge) 07 – “Du hast mit deinen Sternen nicht gespart”

Im umfangreichen Nachlass von Rose Ausländer finden sich zahlreiche Dokumente, Fotos und Texte zu den Begegnungen mit ihrem Landsmann Paul Celan. Auf dieser Basis zeigt Helmut Braun, der Nachlassverwalter der Dichterin, das Verhältnis der Poetin und des Poeten. Beider Leben und Werk ist durch die Shoa gezeichnet. Paul Celan zerbricht am Erlittenen; er geht in den Freitod. Rose Ausländer findet im hohen Alter ihren Frieden: „Ich erwarte nichts, aber ich lebe gern.“

1957, nach der Lektüre von Paul Celans Büchern Mohn und Gedächtnis und Von Schwelle zu Schwelle, notierte Rose Ausländer: „Der Tod hat seinen besten Dichter ins Leben gerufen“.

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Helmut Braun begleitete Rose Ausländer 13 Jahre lang bis zu ihrem Tod im Jahr 1988. Zunächst als ihr Verleger, danach als Herausgeber ihres Gesamtwerkes und ihr Biograf. Sie bestimmte ihn testamentarisch zum Verwalter ihres Nachlasses. Er ist Vorsitzender der Rose Ausländer-Gesellschaft e.V. in Köln. Seit 1992 ist er mit Ausstellungen, Vorträgen und Lesungen als Wanderprediger für die Dichterin unterwegs.

RTB 114 – Der Außerirdische. Stories

“Du schreibst so unverdruckst und schamlos über Sex, wie es notwendig und unersetzbar ist. In hoher literarischer Qualität über solche Themen zu schreiben, traue ich nur höchst wenigen zu. Du beweist in Deinen Texten, dass ein Alterswerk überhaupt nicht weise, schlaff sein und den langen Bart des Immerschongeschriebenen haben muss.”

-Hermann Kinder, 2021 in einer Mail an den Autor

Boot und Tier

Mathias Jeschke, geboren 1963 in Lüneburg, aufgewachsen in der Lüneburger Heide. Er studierte Theologie in Göttingen, Heidelberg und Rostock. Seit 1999 lebt er in Stuttgart und arbeitet dort als Verlagslektor. Für seine literarische Arbeit erhielt er ein Stipendium des Landes Mecklenburg-Vorpommern und den Würth-Literatur-Preis.

Venedig, 1911

Ein erfolgreicher deutscher Dichter will im Grand Hôtel einige Tage mit einem Jungen Alles Schöne geniessen:

“Wie lächerlich ist der Glaube, dieses harmlose Vergnügen vermöchte einen Künstler zu zerstören! Wie kann ein ächter Künstler sich entfalten -, sollte es auch das gesunde Volksempfinden verletzen -, wenn er sich von kleinbürgerlichen Vorurteilen einschränken lässt?”

Anders als in Thomas Manns Meisternovelle “Der Tod in Venedig” kommt in Martin Franks “Venedig, 1911” auch Tazio zu Wort:

“Und, sollte ich hier ins Bett pissen, drohte sie mir gleich klafterweise Prügel, dass sie mich an ein Pflockhaus für Seeleute in Triest verkaufen würde, wo – was folgte, ist zu ordinär, um es niederzuschreiben. Können Sie es sich vorstellen, ohne zu erröten? – denn nun hing, merkte ich, auch Rosa davon ab, dass ich den dottore um einen Finger nach dem andern wickelte.”